Samuel (Stanislaw, Stan) Czamański

  • Geb. am} 23.0.1918
  • Geburtsort: Lodz (Łódź), Polen
  • Kategorie: Diplomstudiengang
  • Heimatberechtigung: Lodz (Łódź), Polen
  • Staatsbürgerschaft: Polen

Entsprechend jüdischer Tradition in Polen erhielt Stanislaw Czamański zusätzlich zu seinem 'bürgerlichen' Vornamen den hebräischen Namen eines verstorbenen Verwandten: Samuel. Mit diesem Vornamen wurde er in den Unterlagen der Wiener Behörden geführt. In seiner späteren wissenschaftlichen Karriere hingegen wurde er unter seinem 'bürgerlichen' Vornamen Stanislaw (bzw. Stan) bekannt.

In seiner Geburtsstadt Łódź hat Czamański das Gymnasium besucht. Anschließend lernte er Textiltechnologie an der Bundeslehranstalt für Textilindustrie in Wien (1936-1938), die 1758 von Kaiserin Maria Theresia als k.k. Commerzialzeichnungsakademie gegründet worden war.

An der Hochschule für Welthandel schrieb sich Stanislaw Czamański zum Wintersemester 1936/37 ein. Hier erhielt er im Februar 1938 sein Zeugnis über die Erste (allgemeine) Prüfung. Als Jude musste er das Studium allerdings nach dem 'Anschluss' Österreichs aufgeben; am 21. Juli 1938 wurde er von der Hochschule abgemeldet. Aus seiner Wohnung in der Alserbachstraße 1/3/8 (9. Wiener Gemeindebezirk) hatte er sich schon am 14. März 1938 abgemeldet, um - nur zwei Tage nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich - in die Schweiz zu flüchten.

Im Exil setzte er seine Ausbildung fort. An der Universität Genf schloss er ein Studium der Wirtschaftswissenschaft ab (1938-1940), an der Hebrew University in Jerusalem studierte er Philosophie (1940-1941). Während des Zweiten Weltkriegs nahm Czamański zwei wichtige Arbeiten auf: In der polnischen Armee kämpfte er gegen das NS-Regime, und in Palästina beteiligte er sich am Aufbau eines Gebietes, das besonders in Folge der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung durch das ‚Großdeutsche Reich‘ zu einem der bevorzugten Zielländer jüdischer Exulanten wurde.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Stan Czamański zunächst in Łódź mit dem Wiederaufbau befasst. Hier lehrte er zwischen 1948 und 1957 an der Zentralen Schule für Planung und Statistik (Szkola Glowna Planowania i Statystyki) und arbeitete von 1951 bis 1957 für die kommunale und für die regionale Planungskommission von Łódź. 1958 übernahm er als Production Manager die Leitung der Planungsabteilung der in Haifa ansässigen Firma ATA Textile Co., Ltd., die er bis 1961 ausübte. Das Unternehmen war 1934 von Erich Moller und seinem Cousin Hans Moller, zwei Sprösslingen einer in Böhmen beheimateten jüdischen Industriellenfamilie, gegründet worden; von Hans Moller ist bekannt, dass er ein Jahr zuvor aus der Tschechoslowakei nach Palästina emigriert war (Institut für Zeitgeschichte München/Research Foundation for Jewish Immigration [Hrsg.] 1980, S. 506).

1961 übersiedelte Stanislaw Czamański in die USA. Um seinen ‚bürgerlichen‘ Vornamen dem amerikanischen Sprachgebrauch anzupassen, verkürzte er ‚Stanislaw‘ zu ‚Stan‘.

In den Vereinigten Staaten wie auch in Israel und anderen Ländern war Stan sowohl an mehreren Universitäten als auch in außeruniversitären Organisationen tätig, die sich mit Regionalplanung befassten. An der University of Pennsylvania nahm er 1963 im Rahmen eines Harrison Fellowships ein Doktoratsstudium auf. Zwei Jahre später schloss er seine Promotion in der jungen Disziplin der Regionalwissenschaft ab. Anschließend wirkte Czamański an derselben Universität mehrere Jahre als Assistenzprofessor. Ab 1966 war Czamański Programmdirektor am Institute of Public Affairs der Dalhousie University (Halifax, Kanada); diese Funktion übte er zehn Jahre lang aus. Im selben Jahr wurde er zum außerordentlichen Professor für Stadt- und Regionalplanung an der Cornell University (Ithaca, New York) ernannt, 1970 avancierte er hier zum ordentlichen Professor; 1988 wurde er emeritiert. Zu erwähnen sind auch eine Forschungsprofessur, die er 1968 an der Harvard University (Cambridge, Massachusetts) wahrnahm, sowie Lehrtätigkeiten an der Universität von Pittsburgh (1966), der Universität von Puerto Rico (1966), der Florida State University (Tallahassee, 1971/72), der Florida International University in Miami (1983 sowie ab 1991) und der Florida Atlantic University in Boca Raton (1983), der Universität von Tel Aviv (1972), der Hebrew University (1982-1988), wo er ja bereits während des Krieges studiert hatte, und der Universität von Haifa (1987/88). Seit 1958 war er Technion verbunden, der Technischen Universität Israels in Haifa, und zwischen 1957 und 1983 wirkte er mehrfach an der Universität von São Paulo (Brasilien). 1985 war er Gastprofessor an der Universität von Aix-Marseille (Frankreich), 1989 lehrte er an verschiedenen Universitäten in Indonesien.

Zu seiner universitären Karriere kamen weitere regionalwissenschaftliche Aktivitäten. So fungierte Stanislaw Czamański 1964/65 als Berater für die Baltimore Urban Renewal and Housing Agency. 1978/79 war er Stellvertretender Direktor des United Nations Center for Regional Development für Asien mit Sitz in Nagoya (Japan). Czamański gehörte zu den Gründungsmitgliedern der European Regional Science Association (ERSA). 1959 trat er der Regional Science Association (heute Regional Science Association International, RSAI) bei, die fünf Jahre vorher gegründet worden war. 19747/75 war er Präsident der internationalen Regional Science Association, zwischen 1985 und 1987 saß er der israelischen Abteilung dieser Gesellschaft vor. Mitgliedschaften verbanden ihn auch mit der American Economic Association (seit 1962) und der American Association for the Advancement of Science (seit 1983). Darüber hinaus beriet Czamański die Weltbank, das Settlement Study Center in Rechovot (Israel), etliche amerikanische Kommunen und Bundesstaaten sowie die Regierungen von Kanada (1968-69), dem Iran (1973/74) und Brasilien. Auch Wirtschaftsunternehmen sowie staatlichen und halbstaatlichen Organisationen im Mittelmeerraum diente er als regionalwissenschaftlicher Berater. Schließlich beriet er die Jewish Agency in Haifa über Industrieförderung in Galiläa.

Von Czamańskis wissenschaftlicher Reputation zeugt auch, dass er Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften und der Buchreihe Studies in Regional Science war. Seine eigenen Bücher wie Regional Science Techniques in Practice (Lexington 1972) und Regional and interregional social accounting (Lexington 1973) gelten nach wie vor als Standardwerke.

Über seinen Lehrstil heißt es in einem Nachruf: „His courses were intellectual feasts. Although his style of presentation was formal and somewhat dry, the amount of theoretical material he covered and illustrated with empirical case studies was most impressive. Among the topics he treated were urban and regional economic growth theory, input-output and industrial complex analyses, social accounting, regional econometric modeling, demographic projection techniques, graph theory for network analysis, applications of factor analysis and discriminant analysis, and optimization techniques (…).” Förderlich für seine internationale Forschungs- und Lehrtätigkeit waren nicht zuletzt seine Sprachfertigkeiten: Stanislaw Czamański beherrschte Polnisch, Englisch, Hebräisch, Russisch, Französisch, Deutsch, das brasilianische Portugiesisch, Japanisch und Arabisch, das er während des Zweiten Weltkriegs in Palästina erlernt hatte.

Bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Stanislaw Czamański Francezca kennengelernt, die 1918 in Ozorków, einem Ort nördlich von Łódź, geboren worden war. 1946 heiratete das Paar in Jerusalem. Mit Daniel Czamański (geb. 17. November 1946 in Jerusalem) ist ein Sohn aus der Ehe hervorgegangen.

Am 21. August 2012 ist Stan Czamański, dessen Emigration unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik als ein Beleg für den immensen Verlust an intellektueller Kapazität zu sehen ist, in Haifa im Alter von 94 Jahren verstorben. Er wurde auf dem Haifa Cemetary beigesetzt. Zur Erinnerung an ihn wurde der Stan Czamanski Prize for Outstanding Scholarship by a Young Scholar ins Leben gerufen, der von der israelischen Sektion der RSAI jährlich vergeben wird.

 

Autor: Johannes Koll
Unterstützung bei der Recherche: Barbara Timmermann

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Studierendenkarteikarte und Alte Prüfungsliste.
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 119502/2013.
E-Mail von Univ.-Prof. Dr. Daniel Czamanski (Sohn von Stanislaw) aus Haifa an PD Dr. Johannes Koll (WU Wien) vom 22. April 2017.
E-Mail von Univ.-Prof. em. Dr. David Boyce (The University of Illinois at Chicago, 1986/87 Präsident der RSAI) an PD Dr. Johannes Koll (WU Wien) vom 12. April 2017.
Kieran Donaghy/Sid Saltzmann: The Stan Czamanski Prize, http://regionalscience.org/~regi1c84on004f8ealh/index.php?option=com_k2&view=item&id=1263:the-stan-czamanski-prize&Itemid=646 [4. April 2017].
Institut für Zeitgeschichte München/Research Foundation for Jewish Immigration (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben, bearb. von Werner Röder/Herbert A. Strauss, München u.a. 1980.

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