o. Univ.-Prof. Dr. Dr. Richard Kerschagl

  • Geb. am} 25.0.1896
  • Geburtsort: Wien
  • Kategorie: Beschäftigte

Richard Kerschagl, stammte (nach eigener Angabe) aus „altem deutschen Bauerngeschlecht“, er studierte an der Universität Wien und erwarb dort 1919 das Doktorat der Rechtswissenschaften und 1922 mit einer von Othmar Spann betreuten Dissertation jenes der Staatswissenschaften. Nachdem er zwischenzeitlich als Wissenschaftliche Hilfskraft sowohl bei Friedrich von Wieser als auch bei Spann gearbeitet hatte, war er seit 1920 an der Oesterreichischen Nationalbank als Volkswirtschaftlicher Referent tätig. Ab 1921 lehrte Kerschagl Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel als Honorardozent (seit 1930 mit dem Titel eines außerordentlichen Professors) und habilitierte sich dort 1931. Ab 1936 wirkte er auch als Professor der Handelspolitik an der Konsularakademie (der heutigen Diplomatischen Akademie) in Wien.

Das wissenschaftliche Werk ist besonders in den 1920er und 1930er Jahren durch eine große Fülle von Publikationen charakterisiert, die Kerschagl jedoch auch den Vorwurf der Oberflächlichkeit und des Eklektizismus einbrachten; aus den damals vorherrschenden Schulenstreitigkeiten versuchte er sich – trotz einer vorübergehenden Nähe zum Spannkreis – herauszuhalten. Aus Kerschagls reger Vortragstätigkeit sowohl in der katholischen Leo-Gesellschaft als auch im Deutschen Klub ist auf seine politische Nähe zur Christlichsozialen Partei und zugleich zu deutschnationalen Kreisen zu schließen; seit 1929 war er Mitglied der Heimwehr. Nach 1934 trat er offen für den autoritären Ständestaat ein und wurde als Mitglied in den Staatsrat und den Bundestag berufen.

Nachdem Kerschagl an der Hochschule für Welthandel bei der Besetzung des Extraordinariats noch 1933 zugunsten von Walter Heinrich übergangen worden war, wurde er im Berufungsvorschlag für die Nachfolge des verstorbenen Ordinarius Josef Gruntzel an die dritte Stelle, aber gleichwohl aussichtsreich platziert. Er wurde schließlich 1937, nach einer Reihe politischer Interventionen zu seinen Gunsten, an die Hochschule berufen, allerdings war die Stelle auf eine außerordentliche Professur herabgestuft worden, wofür Kerschagl aber immerhin mit dem Titel eines Ordinarius entschädigt wurde.

Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs wurde Kerschagl als Anhänger des Ständestaates unverzüglich verhaftet und Ende August 1938 wegen „ablehnender und teilweise überaus aggressiver Bekämpfung des Nationalsozialismus“ von der Hochschule entlassen. Nach seiner Freilassung im August 1938 war er außerhalb Österreichs in der Privatwirtschaft tätig und betrieb erfolglos seine Rehabilitierung; gegen Kriegsende hielt er sich in Kärnten auf, wie ihm bestätigt wurde, als Widerstandskämpfer.

1945 kehrte Kerschagl an die Hochschule zurück und wurde trotz vereinzelter Kritik wegen seiner Tätigkeit in der Heimwehr wieder in seine vorige Funktion als außerordentlicher Professor eingesetzt. 1946 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt und für die Funktionsperioden 1947/48 und 1948/49 sowie 1960/61 und 1961/62 zum Rektor gewählt. An der Hochschule für Welthandel blieb er bis zu seiner Emeritierung Vorstand des Instituts für Volkswirtschaftslehre und Weltwirtschaftslehre. An der Universität Wien wurde er 1949 zum Honorardozenten, 1952 zum Honorarprofessor ernannt und lehrte dort regelmäßig bis ins Wintersemester 1971/72.

In der Zweiten Republik wurde Kerschagl Mitglied der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), für die er verschiedene wirtschafts- und wissenschaftspolitische Funktionen einnahm; so war Kerschagl beispielsweise Präsident der Österreichischen UNESCO-Kommission. Kerschagls Wunschziel einer Berufung zum Finanzminister oder zum Präsidenten der Oesterreichischen Nationalbank erfüllte sich nicht, in beiden Funktionen wurde ihm Reinhard Kamitz vorgezogen. Wissenschaftlich schloss Kerschagl an seine Tätigkeit in der Zwischenkriegszeit an, ohne jedoch auf über das lokale Umfeld hinausgehende Resonanz zu stoßen. An der Hochschule für Welthandel gelang es ihm, mehrere seiner Assistenten zu habilitieren und ihnen damit eine akademische Karriere zu ermöglichen.

Richard Kerschagl emeritierte im Jahr 1967, nachdem er zuvor mit einer Festschrift zu seinem 70. Geburtstag geehrt worden war. Die von ihm gemeinsam mit Walter Heinrich über drei Jahrzehnte ausgeübte Dominanz in der Lehre an der Hochschule für Welthandel hatte zu einer Abkopplung vom „Mainstream“ der Entwicklung und einer mangelnden Rezeption neuerer Forschungsansätze geführt. Somit bestand Ende der 1960er Jahre ein großer Nachholbedarf in der Volkswirtschaftsausbildung. Unter seinem Nachfolger Stephan Koren wurden bald erste Schritte zur Beseitigung dieses Defizits gesetzt.

Richard Kerschagl verstarb am 30.12.1976 in Hermagor.

 

Autor: Hansjörg Klausinger

 

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Personalakt Richard Kerschagl.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Protokolle der Sitzungen des Professorenkollegiums 1930−1972.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Präsidialprotokoll Zl. 208/1938.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Unterricht, Personalakt Richard Kerschagl.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Zivilakten der NS-Zeit, Gauakt Richard Kerschagl.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Handel und Verkehr, Karton 3643, Zl. 134.722-14AH/1936 („Ernennungsakt Kerschagl“).
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Handel und Verkehr, Fasz. 577, Zl. 126694-38.
Hansjörg Klausinger, Die Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel, 1918−1973, Vienna University of Economics and Business, Department of Economics, Working Paper No. 202, Wien 2015, https://epub.wu.ac.at/4627/1/wp202.pdf [12.01.2016].
Reinhard Müller, Eintrag „Richard Kerschagl“, in: Soziologie in Österreich: http://agso.uni-graz.at/sozio/biografien/k/kerschagl_richard.htm [12.01.2016].

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