Meier (auch Meier Juda, Max oder Max J.) Billig

  • Geb. am} 11.0.1910
  • Geburtsort: Gródek Jagielloński
  • Kategorie: Doktorratsstudiengang
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich
  • Staatsbürgerschaft: Österreich

Meier (gelegentlich auch Meier Juda) Billig wurde 1910 als Sohn des Kaufmanns Feiwel Billig (geb. 2. November 1883 in Mostyska/Mościska als Sohn des Abraham Chaim Billig und der Lei Billig, geborene Eisenberg, gest. am 29. Oktober 1944, einen Tag später beigesetzt auf dem Beth David Cemetery von Elmont im Bundesstaat New York) in der damals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörenden galizischen Stadt Gródek Jagielloński geboren, die nach dem Ersten Weltkrieg zur neugegründeten Zweiten Polnischen Republik gehören und sowohl nach der Besetzung dieses Teils von Polen durch die Sowjetunion 1939 als auch nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Namen Horodok Teil der Ukraine werden sollte. In derselben Stadt war am 26. Januar 1909 bereits Meiers älterer Bruder Eisig Billig geboren worden. Meier und Eisig hatten zwei Schwestern. Ihr Vater Feiwel heiratete am 28. September 1919 im Wiener Stadttempel (1. Gemeindebezirk, Seitenstettengasse 4) Rachela bzw. Rachel (geb. am 14. oder 15. Mai 1885 in Przemyśl, Mädchenname Wirt oder Wirth).

Als gelernter Gerber und Oberteilzuschneider trat der Vater 1921 als Geschäftsführer in die Firma Ch.M. Weiser ein, die fortan unter dem Namen Weiser & Billig firmierte und als offene Handelsgesellschaft geführt wurde. Der Sitz des Unternehmens, das Großhandel mit Leder und Lederwaren sowie Schuhzubehör betrieb, befand sich zunächst in der Großen Mohrengasse 3b (2. Wiener Gemeindebezirk), nur wenige Gehminuten von der Wohnung in der Taborstraße 8 entfernt; später war es in der Taborstraße 8/11 angesiedelt. Im Juni 1933 wurde Feiwel Billig Inhaber des Schuhwarengroßhandels „F. Billig“, das seinen Sitz ebenfalls in der Taborstraße 8 hatte.

Meier schrieb sich nach dem Besuch eines nicht identifizierbaren Untergymnasiums und derHandelsakademie Wien I (Akademiestraße 12) an der Hochschule für Welthandel für den Diplomstudiengang ein, anschließend bemühte er sich an derselben Hochschule um das Doktorat in Handelswissenschaften. So gehörte er der ‚Welthandel‘ als ordentlicher Hörer zwischen Wintersemester 1929/30 und Wintersemester 1933/34 die vorgeschriebenen acht Semester lang an, danach war er noch im Sommersemester 1934 als außerordentlicher Hörer inskribiert. Während des Studiums wohnte er in der elterlichen Wohnung in der Taborstraße 8, war aber auch in der Fugbachgasse 3/7 sowie in der Leopoldsgasse 22/12 gemeldet. Alle genannten Adressen gehörten zum 2. Wiener Gemeindebezirk, der sogenannten Leopoldstadt, dem traditionell jüdischen Viertel der Stadt.

Seine Diplomprüfung hat Meier Billig im Herbst und Winter 1932 abgelegt. Seine von dem außerordentlichen Professor für Volkswirtschaftslehre Walter Heinrich und dem ordentlichen Professor für Betriebswirtschaftslehre Karl Oberparleiter begutachtete Dissertation Die Beeinflussung der Wirtschaftskrisen durch den Monopolismus reichte Meier im Juni 1935 ein. Für die beiden Referate, die für das Doktorat erforderlich waren, wählte er neben dem Thema Monopolpreis und Konkurrenzpreis ein Thema, das Anknüpfungspunkte an die berufliche Tätigkeit seines Vaters erkennen lässt: Die Kosten des Schuhdetailhandels. Im November 1935 und im März 1936 allerdings fiel Meier Billig zweimal durch das Erste Rigorosum durch. Eine nochmalige Wiederholung und die Zulassung zum Zweiten Rigorosum wurde ihm am 26. Januar 1942 mit der ‚Begründung‘ verweigert: „Da mosaisch [,] zu den weiteren Prüfungen nicht zugelassen.“ Tatsächlich schrieb die nationalsozialistische Promotionsordnung, die mit Wirkung vom 1. April 1940 an die Stelle der Promotionsordnung von 1930 getreten war, in § 6 explizit vor: „Juden werden zur Doktorprüfung nicht zugelassen.“ Dementsprechend wurde auf dem Umschlag des Bibliotheksexemplars seiner Dissertation handschriftlich der Vermerk „mosaisch“ hinzugefügt.

Seinen eigenen Angaben zufolge im Fragebogen der Auswanderungsabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde Wien hat Meier bis zum ‚Anschluss‘ Österreichs berufliche Tätigkeiten als Einkaufsdisponent bei den Firmen Del-Ka (DELKA) und „Hermes“ F. Hulles Schuhverkaufsgesellschaft, die an der Mariahilfer Straße (7. Wiener Gemeindebezirk) einen bekannten „Schuh-Palast“ betrieb, ausgeübt; außerdem war er Geschäftsführer einer namentlich nicht genannten Schuhgroßhandlung, bei der es sich möglicherweise um das väterliche Unternehmen handelte. Alle diese Unternehmen wurden nach dem ‚Anschluss‘ liquidiert bzw. ‚arisiert‘: Die Aktien von Del-Ka kamen 1940 in den Besitz der Creditanstalt-Bankverein, während „Hermes“ von den Nationalsozialisten Hans Proksch und dem Graphiker Alfred Proksch übernommen wurde. Das väterliche Unternehmen wiederum wurde im Dezember 1938 – wie es im Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister in der Ostmark ohne Hinweis auf den Zwangscharakter dieser Maßnahme hieß – „infolge Gewerberücklegung“ aus dem Handelsregister gelöscht.

Der sprachbegabte Meier Billig, der neben Polnisch und Deutsch auch Englisch, Französisch, Spanisch und Hebräisch verstand bzw. beherrschte, gelang es, zusammen mit seiner Ehefrau Sali (geb. 10. April 1912 in Pomorzany, Mädchenname Dier, auch Bini genannt, gest. 24. Juni 1990 in New York City) in die USA zu emigrieren. Am 7. Januar 1939 schiffte sich das Ehepaar in Antwerpen ein und kam auf der S.S. Westernland am 18. Januar in New York an, wo Verwandte der Familie Billig lebten. Auch Meiers Eltern Feiwel und Rachela sowie sein Bruder Eisig und dessen Ehefrau Klara (geb. am 29. April 1913 in Wien als Tochter des Israel Marcus und der Libe Chasse oder Libe Chasie Weisglas), die 1935 oder 1936 im Wiener Stadttempel geheiratet hatten und bis zum ‚Anschluss‘ am Lassingleithnerplatz 4 (2. Wiener Gemeindebezirk) gewohnt hatten, konnten sich nach Amerika absetzen. So emigrierten Feiwel und Rachela am 14. Februar 1939 nach Kuba; Eisig und Klara folgten neun Tage später dorthin. Schließlich gelang es auch Meiers Schwiegereltern, Abraham (geb. ca. 1876) und Berta (geb. ca. 1886), sich in den USA vor der Verfolgung der Jüdinnen und Juden im ‚Großdeutschen Reich‘ in Sicherheit zu bringen.

Alle genannten Familienmitglieder vermochten ihr Leben zu retten, ihr Vermögen hingegen fiel zu einem Großteil den für das NS-Regime typischen Mechanismen eines bürokratisierten Raubzugs anheim: Eisig, der bis zum ‚Anschluss‘ mit einer Gewinnbeteiligung von 20 Prozent im Unternehmen seines Vaters beteiligt war, musste vor der Ausreise aus dem ‚Großdeutschen Reich‘ Steuern und Abgaben in Höhe von über 7.600 Reichsmark (RM) entrichten, im März 1941 beschlagnahmte die Geheime Staatspolizei Wien dann „das gesamte stehende und liegende Vermögen sowie alle Rechte und Ansprüche“ von Eisig und seiner Frau Klara „aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit dem Ziele der späteren Einziehung zu Gunsten des Deutschen Reiches“. Feiwel, dessen Firma im Juli 1938 einen Wert von 67.000 RM hatte, hatte eine ‚Reichsfluchtsteuer‘ inklusive ‚Säumnisgebühr' in Höhe von über 17.000 RM zu entrichten; dazu kamen mehr als 3.500 RM für die sogenannte ‚Judenvermögensabgabe‘ und weitere Zwangszahlungen. Seine Witwe Rachela sollte in den sechziger Jahren eine bescheidene Entschädigung in Höhe von 23.000 Schiling bekommen.

Opfer der Shoah wurde Klaras Vater Israel Marcus Weisglas (geb. 14. Juni 1888 im galizischen Ort Kopyczyńce als Sohn des Eliukim und der Frima oder Frime). Er wohnte in der Praterstraße 48/14 (2. Wiener Gemeindebezirk), bis er zu einem unbekannten Zeitpunkt deportiert und mutmaßlich in dem Zwangsarbeiterlager Kamionka Strumiłowa, in dem zwischen 1941 und 1943 ca. 5.000 Juden ihres Lebens beraubt wurden, ermordet wurde (Yones 2018, S. 378).

Wie auf den genealogischen Datenbanken MyHeritage und Ancestry gespeicherte Passagierlisten erkennen lassen, sind Angehörige der Familie Billig während des Zweiten Weltkriegs mehrfach per Schiff zwischen New York und Kuba hin- und hergefahren; möglicherweise hatte Meier in Havanna eine Wohnung oder ein Geschäft. Belegt ist auch, dass Meier und Sali nach Kriegsende zahlreiche Reisen innerhalb von Amerika sowie vereinzelt nach Europa unternommen haben.

Laut Volkszählung vom 1. April 1950 lebte die Familie von Meier Billig samt Eltern und Schwiegereltern zu diesem Zeitpunkt in einem Haus in der Avon Road 186-39 des Bezirks Queens von New York City. Zur Familie gehörten auch die beiden Kinder, Evelyn (geb. ca. 1942, später verheiratete Kenvin, seit 14. Juni 1984 verheiratet mit Arthur H. Rosenbloom) und Peter Charles (geb. 25. Mai 1944 in New York, seit 10. Februar 1966 verheiratet mit Gail Ann Gordon, gest. am 18. Februar 1993 in New York). Später wohnte die Familie Meier Billig direkt am New Yorker Central Park, während seine Eltern in der Bronx (1665 Grand Concourse) lebten.

Aus der erwähnten Volkszählung und anderen historischen Quellen geht auch hervor, dass sowohl Meier als auch sein Schwiegervater Abraham in der Schuhherstellung tätig waren. Bereits zu diesem Zeitpunkt war Meier Präsident der B. & M. Shoe Company. Dieses Unternehmen hatte eine Fabrik mit etwa 150 Arbeitern und Angestellten in Hoosick Falls (Bundesstaat New York), zu der am 27. Oktober 1949 der Grundstein gelegt worden war (The American City 1949, S. 125). Bis zu seinem Tod vereinigte Meier Billig unter dem Dach der Billig Foundation fünf Unternehmen, zu denen neben der B. & M. Shoe auch Billig Shoe und Evy Footwear zählten. Später übernahm Meiers Schwiegertochter Gail Billig die Verwaltung der Stiftung. Sie wurde überdies 1997 die erste weibliche Präsidentin einer großen orthodoxen Synagoge in den USA, und zwar für die Congregation Ahavath Torah in Englewood (New Jersey).

Die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten Meier, dessen Vorname in amerikanischen Quellen auch als Max bzw. Max J. angegeben wird, und seine Frau Sali im Jahr 1947. Meier (bzw. Max), der zu  diesem Zeitpunkt Großvater von vier Enkelkindern war, verschied am 17. Januar 1974 im Alter von 63 Jahren im Mount Sinai Hospital.

 

Autor: Johannes Koll
Unterstützung bei der Recherche: Katharina Graf

Bilder

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Studierenden- und Doktoratskarteikarte.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Alte Prüfungsliste.
Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister in Österreich, 20. Jg., Nr. 17 vom 26. Februar 1921, S. 254, Nr. 4673.
Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister in Österreich, 27. Jg., Nr. 27 vom 5. Juli 1933, S. 595, Nr. 11.626.
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MER-1052642-2017.
Meier Billig: Die Beeinflussung der Wirtschaftskrisen durch den Monopolismus, unveröffentlichte Dissertation, Hochschule für Welthandel 1935, Universitätsbibliothek der Wirtschaftsuniversität Wien, Sign. 40.624-C.
Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister in der Ostmark, 38. Jg., Nr. 26 vom 28. Juni 1939, S. 401, Nr. 8146.
Zentralblatt für die Eintragungen in das Handelsregister in der Ostmark, 37. Jg., Nr. 52 vom 28. Dezember 1938, S. 1042, Nr. 16.661.
MyHeritage.at: Österreich, Wien, jüdische Auswanderungsanträge 1938-1939: Fragebögen der Auswanderungsabteilung der Fürsorge-Zentrale der Israelitischen Kultusgemeinde Wien von Meier Juda Billig vom 3. Juli 1938, Nr. 37459, von Feiwel Billig vom 5. Juli 1938, http://www.myheritage.at/research/collection-11000/osterreich-wien-judische-auswanderungsantrage-1938-1939 sowie von Eisig Billig vom 5. Juli 1938 [15. und 27. September 2023].
Ancestry.com: U.S. Social Security Death Index, 1935–2014 zum Todesdatum von Sali Billig, http://www.ancestry.com/ [15. September 2023].
Ancestry.com: Passagierliste der S.S. Westernland von Antwerpen nach New York vom 7. Januar 1939 nach: The National Archives and Records Administration; Washington, D.C.; Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at and Departing from Ogdensburg, New York, 5/27/1948 - 11/28/1972; Microfilm Serial or NAID: T715, 1897-1957, http://www.ancestry.com/ [15. September 2023].
Genteam. Die genealogische Datenbank, Index der jüdischen Matriken Wien und Niederösterreich), https://genteam.at , Nr. 196066 und 346524 bzw. Nr. 196067 und 346525 zu Eisig und Klara Billig sowie Nr. 179227 zu Klara Weisglas [27. September 2023].
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Finanzen, Vermögensverkehrsstelle: Vermögensanmeldung Nr. 7866 von Eisig Billig vom 16. Juli 1938.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Finanzen, Vermögensverkehrsstelle: Vermögensanmeldung Nr. 25181 von Feiwel Billig vom 16. Juli 1938.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Finanzen, Hilfsfonds, Abgeltungsfonds 2657.
Opferdatenbanken des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (http://www.doew.at ) und von Yad Vashem: Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer, ID 597998 (https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=de&itemId=597998&ind=1), Einträge zu Israel Marcus Weisglas [29. September 2023].
Eliyahu Yones: Die Juden in Lemberg während des Zweiten Weltkriegs und im Holocaust 1939–1944, Stuttgart 2018.
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MyHeritage.at: New Jersey Todes Index, 1920-1929, 1949-2017 zu Peter Charles Billig, http://www.myheritage.at/research/collection-10747/new-jersey-todes-index-1920-1929-1949-2017 [15. September 2023].
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Abigail Klein Leichman: Leaders Lift Spirit in Orthodox Women’s Section, in: Women’s eNews vom 13.07.2007, https://womensenews.org/2007/07/leaders-lift-spirit-in-orthodox-womens-section/ [9. Oktober 2023].
Myheritage.at: U.S. Einbürgerungsaufzeichnung Meier Juda Billig und Sali Billig, beide nach: The U.S. National Archives and Records Administration (NARA), Index to the Naturalization Petitions of the United States District Court for the Eastern District of New York, 1865-1957, M 1164, http://www.myheritage.at/research/collection-10024/us-einburgerungsaufzeichnungen [15. September 2023].
The New York Times vom 18. Januar 1974, S. 36.

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