Margit Littmann
- Geb. am} 3.0.1919
- Geburtsort: Gußwerk
- Kategorie: Diplomstudiengang
- Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich
- Staatsbürgerschaft: Österreich
Margit Littmann war Tochter des Holzindustriellen Oskar Littmann (geb. 26. Januar 1879 in dem ungarischen Ort Malyasfaln) und der Adele (geb. 30. März 1889, Mädchenname Anschel). Sie hatte zwei ältere Brüder: Herbert (geb. 26. Juni 1912) und Georg Wilhelm (geb. 16. April 1916); Letzterer verstarb bereits im Jahr 1921 an einer Krankheit.
Vor Aufnahme des Studiums legte Margit Littmann 1937 an der ersten österreichischen Schule, an der Mädchen maturieren konnten, die Reifeprüfung ab: in der nach Eugenie Schwarzwald benannten Frauenoberschule im ersten Wiener Gemeindebezirk. Ihre Reifeprüfung absolvierte Margit als Klassenbeste „mit Auszeichnung“.
Zum Wintersemester 1937/38 inskribierte sie an der Hochschule für Welthandel. Ihr erstes war zugleich ihr letztes Semester: Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung wurde Margit Littmann die Möglichkeit verwehrt, ihr Studium nach dem 'Anschluss' Österreichs fortzusetzen oder Prüfungen abzulegen.
Glücklicherweise erhielt sie ein Visum, um in Staffordshire (Großbritannien) als Hausmädchen bei einem Angehörigen der Unternehmerfamilie Wedgwood arbeiten zu können, die für die Herstellung von hochwertigen Porzellan- und Keramikwaren berühmt war und ist. Die Familienwohnung in der Wiener Fuchsthallergasse 2/2/12 (9. Gemeindebezirk) verließ Margit am 25. Juli 1938.
Großbritannien stellte für Margit Littmann allerdings nur einen Zwischenaufenthalt dar. Ihr Ziel waren die USA, wo ihr Vater Oskar mit seinen Eltern und Geschwistern zwischen 1905 und 1911 – wenn auch vergeblich – versucht hatte, Fuß zu fassen. Am 19. November 1938 reiste Margit nach Southampton an die englische Südküste. Von hier aus setzte sie nach New York über, wo sie fünf Tage später ankam.
In New York lernte Margit einen weiteren Flüchtling aus Österreich kennen, den Ingenieur Rudolf (Ralph) Peter Kretsch (geb. am 28. November 1900 in Wien). Dessen (ebenfalls jüdische) Familie stammte ursprünglich aus dem Komitat Pressburg, betrieb aber seit 1900 eine Fabrik mit zeitweilig 40 Arbeitern sowie seit 1907 ein Handelsgeschäft für Gemischtwaren in Wien. Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs wurde die Firma Buchwald & Kretsch, in der Rudolfs Vater Hermann seit 1934 nach dem Ausscheiden von Salomon Buchwald aus der Geschäftsführung Alleininhaber gewesen war, ‚arisiert‘: Zunächst wurde Hans Perko auf der Grundlage des Gesetzes über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen, das Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart am 13. April 1938 nach der Genehmigung durch die deutsche Reichsregierung verkündet hatte, als kommissarischer Verwalter eingesetzt; am 26. September 1939 dann wurde Hermann Kretsch als Inhaber aus dem Handelsregister gelöscht; das Unternehmen wurde dem Wiener Schlossermeister Karl Klecek übertragen.
Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs floh Hermann Kretsch mit seiner Tochter Irma, mit deren Ehemann Aladar Berger und ihrer Tochter Margit Berger nach Ungarn, wo die Familie über Eigentum verfügte. Hermann, der an Depressionen litt, erlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht: Er nahm sich vermutlich das Leben, als die Lebensmittel zur Neige gingen. Irma starb 1953 in Ungarn an Krebs. Margit Berger flüchtete zusammen mit ihrem Ehemann Erno Hermann und den beiden Söhnen im Jahr des dortigen Aufstands (1956) aus Ungarn und ließ sich in den USA nieder.
Rudolf Peter Kretsch wiederum, der zwischen 1918 und 1925 an der Technischen Hochschule Wien studiert hatte, begab sich auf eigene Faust ins Exil. Nachdem er die väterliche Wohnung in der Kaiserstraße 79 (7. Wiener Gemeindebezirk) verlassen hatte, gelangte er über Frankreich in die USA. Hier schloss er mit Margit Littmann am 21. April 1940 die Ehe, aus der insgesamt vier Kinder hervorgehen sollten: Ruth Regina (7. Oktober 1941 bis 1. Januar 1946), Peter (geb. 19. März 1943, gest. 24. Oktober 2017), Eleanor (Ellie, geb. 3. Dezember 1946) und Joyce (geb. 26. Mai 1953). 1943 nahm die junge Familie den Nachnamen Craig an; Rudolf ersetzte zugleich seinen Vornamen: Er nannte sich fortan Ralph Peter Craig.
Noch während des Zweiten Weltkriegs übersiedelte Familie Craig nach Los Angeles. Während Rudolf das Unternehmen Red Point Corporation gründete, das als Zuliefererbetrieb für die Luft- und Raumfahrtindustrie diente, schrieb Margit sich zu Beginn der siebziger Jahre im (katholischen) Immaculate Heart College (Los Angeles) ein; hier erwarb sie im Rahmen eines vierjährigen Studiums den Titel eines Bachelor of Arts – und konnte mit einem Studienabschluss in gewisser Weise das nachholen, was ihr an der Hochschule für Welthandel einst verweigert worden war. Anschließend arbeitete sie im öffentlichen Dienst in Los Angeles. Außerdem engagierte sie sich ehrenamtlich auf sozialem Gebiet. Sie ist am 4. Juli 1987 in Sherman Oaks verstorben. Ihr Mann hatte am 8. Mai 1983 das Zeitliche gesegnet.
Margits Bruder Herbert war zwischen den Studienjahren 1929/30 und 1934/35 an der Technischen Hochschule Wien inskribiert; hier hat er am 27. Juni 1935 im Fach Technische Chemie die Zweite Staatsprüfung abgelegt. Danach hat er ein Jahr lang an der Mailänder Universität studiert und offensichtlich an seiner Dissertation gearbeitet. Diese reichte er im Herbst 1937 bei der Technischen Hochschule Wien ein. Die beiden Gutachten allerdings widersprachen sich in den entscheidenden Punkten, sodass Herbert Littmann damals nicht zu den Rigorosen zugelassen wurde. Inwieweit er in den folgenden Monaten der Aufforderung zur Überarbeitung seiner Doktorarbeit nachgekommen ist, lässt sich nicht nachprüfen. Im Juni 1938 jedenfalls schickte ihm seine Hochschule zwei Exemplare seiner Dissertation zurück und erstattete ihm die Rigorosentaxe. Mit anderen Worten: Der Weg zur Promotion war Herbert nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs verwehrt. Es ist nicht auszuschließen, dass ihm bedeutet wurde, dass jüdische Studenten fortan nicht mehr erwünscht waren. Mit der Einführung eines Numerus clausus von zwei Prozent im Sommersemester 1938 und dessen Reduktion auf ein Prozent zum folgenden Wintersemester wäre eine neuerliche Begutachtung und die Ablegung der Rigorosen ohnehin so gut wie unmöglich gewesen; nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 war für Jüdinnen und Juden ein Studienabschluss gänzlich ausgeschlossen. Vor der immer bedrohlicher werdenden Verfolgung von Jüdinnen und Juden flüchtete Herbert Littmann über Jugoslawien nach Palästina. Hier gründete er eine Familie und ließ sich als Unternehmer in der Baubranche nieder.
Von Margits Vater Oskar ist bekannt, dass er am 30. November 1926 in Wien unter der Mitgliedsnummer 687 in die jüdische Loge B’nai B’rith aufgenommen wurde - einem der "Treffpunkte des liberalen aufgeklärten Bürgertums" (Patka 2009, S. 129). Beruflich konnte er sich nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich erfolgreich als Unternehmer etablieren: In Margits Geburtsjahr 1919 gründete er zusammen mit dem Wiener Kaufmann Otto Neuhut den Holzhandel Neuhut & Littmann; dessen Geschäftsadresse war die Nußdorfer Straße 26, nicht weit von der Wohnung in der Fuchsthallergasse gelegen. In der Steiermark und in Oberösterreich (Gußwerk, Ebensee, Krieglach und Rasing) betrieb die Firma Sägewerke und „Waldmanipulation“, worunter das „Fällen, Entwurzeln, Abrinden des Stammes und Zustreifen desselben bis zu einem fahrbaren Weg“ zu verstehen ist (Bronneck 1927, S. 18). Ab 1927 kamen die Produktion von Holzwolle sowie die Erzeugung von Eisenbahnschwellen und Telegraphenstangen hinzu. Anfangs beschäftigte das Unternehmen 50, später 60 Arbeiter. Sein „Rundholzverschnitt“ lag bei jährlich 20.000 m3.
Im Gefolge des ‚Anschlusses‘ Österreichs vom März 1938 wurde auch sein Unternehmen ‚arisiert‘ und anschließend liquidiert: Auf der Grundlage des oben genannten Gesetzes über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissarischen Überwachungspersonen wurde Hans Heß zum kommissarischen Verwalter bestellt. In dieser Funktion übte Heß, der sich in Wien an der Enteignung auch anderer jüdischer Unternehmen beteiligte, gemäß § 2 des genannten Gesetzes „alle Rechtsakte“ aus. Die Befugnisse der beiden jüdischen Inhaber hingegen hatten zu „ruhen“. Damit waren Oskar Littmann und Otto Neuhut de facto aus ihrem Unternehmen ausgeschlossen, dessen Sägewerke zum Zeitpunkt der ‚Arisierung‘ 23 Arbeiter beschäftigten (Melichar 2004, S. 625). Ende September 1942 wurde die Firma dann aus dem Handelsregister gelöscht.
Vor dem Hintergrund der aggressiven antisemitischen Stimmungslage und Gesetzgebung, deren lebensbedrohliche Dimension nach der Reichspogromnacht noch einmal drastisch zugenommen hatte, verließ Oskar Littmann mit seiner Frau Österreich. Am 30. Dezember 1938 gab man die Wohnung in der Fuchsthalleregasse auf. Anschließend verblieb das Ehepaar Littmann für knapp eine Woche in einer Pension in der Währinger Straße im 9. Wiener Gemeindebezirk. Von hier aus setzten sich die Eltern von Margit Littmann zunächst nach Zürich ab. Anschließend reisten sie über Paris und Marseille nach Palästina, wo sie den bereits früher emigrierten Sohn Herbert wiedersahen. 1940 exilierten Oskar und Adele nach Los Angeles. Hier überlebten sie den Zweiten Weltkrieg. Vergeblich bemühte sich Oskar Littmann ebenso wie sein früherer Geschäftspartner Otto Neuhut jahrelang, von den USA aus das ‚arisierte‘ Familienunternehmen zurück zu bekommen oder eine Entschädigung zu erhalten. Genau einen Monat nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, am 8. Juni 1945, erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Am 13. Oktober desselben Jahres starb Oskar Littmann in Los Angeles eines natürlichen Todes.
Nach dem Tod ihres Mannes zog Margits Mutter, die am 14. September 1945 die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen hatte, nach Tel Aviv (Israel), und zwar im Jahr 1960. Dort verstarb sie im Oktober 1982.
Autor: Johannes Koll
Unterstützung bei der Recherche: Barbara Timmermann
Bilder
Quellenhinweise
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Studierendenkarteikarte.
E-Mail von Joyce I. Craig (Tochter von Margit Littmann, Los Angeles) an Barbara Timmermann vom 9. Februar 2017.
E-Mails von Ellie Goldstein (Tochter von Margit Littmann, Los Angeles) an PD Dr. Johannes Koll (WU Wien) vom 19. März, 10. September und 17. November 2017.
Meldeauskünfte des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 553791/2013 und B-MEW-804498/2014.
GenTeam. Die genealogische Datenbank, http://www.genteam.at [31. Mai 2014].
E-Mails von Dr. Paulus Ebner (Archiv der Technischen Universität Wien) vom 15. Februar 2017 und vom 22. März 2017 an PD Dr. Johannes Koll (WU Wien).
Marcus G. Patka: Die israelitischen Humanitätsvereine B'nai B'rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur "jüdischen" Freimaurerei, in: Frank Stern/Barbara Eichinger (Hrsg.): Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938. Akkulturation – Antisemitismus – Zionismus, Wien/Köln/Weimar 2009, S. 115-129.
Hugo Bronneck: Die Preisermittlung der Zimmererarbeiten und ihre technisch-kaufmännischen Grundlagen, Berlin/Heidelberg 1927.
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