Heinz Kienzl

  • Geb. am} 8.0.1922
  • Geburtsort: Wien
  • Kategorie: Diplomstudiengang
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich
  • Staatsbürgerschaft: Deutsches Reich / Österreich

Heinz und seine Schwester Ingrid (geb. 30. April 1926 in Wien) sind als Kinder von Elisabeth (geb. am 6. Juli 1893 in Prag) und Hermann (24. März 1893 bis 3. April 1965) Kienzl auf die Welt gekommen. Die Familie wohnte in der Sandleitengasse 12/2/10 (16. Wiener Gemeindebezirk), der Vater war als Drogist tätig.

Im Wintersemester 1941/42 war er an der Hochschule für Welthandel inskribiert. Doch dieses Semester wurde ihm nicht angerechnet: Im April 1942 wurde ihm die Zulassung zum Studium vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (Berlin) rückwirkend verweigert. Nach geltendem Hochschulrecht was das Ministerium hierzu bei allen Personen befugt, die aufgrund von jüdischen Vorfahren nach nationalsozialistischer Auffassung als 'Mischlinge' galten. Hierzu zählte auch Kienzl, der im Oktober 1942 wegen "Abweisung des Mischlingsansuchens" ohne Angabe von Gründen "amtlich exmatrikuliert" wurde. In der Folge wurde er nicht zur Wehrmacht, sondern zur sogenannten Technischen Nothilfe eingezogen. In dieser Organisation war er als Freileitungselektriker daran beteiligt, zerstörte kriegswichtige Einrichtungen wie den Flughafen Vöslau wieder instand zu setzen. Auch in St. Georgen, einem Nebenlager des von der Waffen-SS geführten Konzentrationslagers Gusen II bei Langenstein (Oberösterreich) war er zeitweilig eingesetzt; eigenen Angaben zufolge hat er hier gelegentlich - und entgegen des ausdrücklichen Verbots sowie unter Lebensgefahr - Zwangsarbeiter mit Lebensmitteln versorgt.

Sein Studium konnte er erst nach dem Ende von NS-Regime und Zweitem Weltkrieg fortsetzen und erfolgreich abschließen: Zwischen Sommersemester 1945 und Sommersemester 1948 war er an der 'Welthandel' inskribiert. Im Juli 1947 erhielt er sein Diplom, am 17. Dezember 1949 wurde er mit der Dissertation Die Währungsmaßnahmen der Zweiten Republik Österreich 1945-1948 zum Doktor der Handelswissenschaften promoviert.

Anschließend war er jahrzehntelang im Österreichischen Gewerkschaftsbund tätig, unter anderem als Leiter von dessen Referat für Volkswirtschaft. Außerdem war er gewählter Arbeiterkammerrat (1954-1969) und wurde Obmann der von ihm mitgegründeten Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, die seit 1961 Meinungsumfragen zu aktuellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Themen durchführt und hierzu Forschungsergebnisse veröffentlicht. Auf diese Weise führte Kienzl in Österreich das Instrument der Meinungsforschung ein, das er in den USA kennengelernt hatte. Zwischen 1973 und 1988 war Kienzl Generaldirektor, anschließend Erster Vizepräsident der Österreichischen Nationalbank (bis 1993); in ihr war er bereits als Generalrat tätig gewesen (1963-1969). Seine Amtszeit in der Notenbank war nicht zuletzt durch den Beitrag gekennzeichnet, den er nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems im Jahr 1973 zur Hartwährungspolitik geleistet hat. Als Ökonom und Gewerkschafter war Kienzl darüber hinaus maßgeblich an der Einführung und Ausgestaltung der Sozialpartnerschaft in der Zweiten Republik beteiligt und bekannte sich zum 1995 erfolgten EU-Betritt. Bis ins hohe Alter hat er regelmäßig Schriften veröffentlicht und war Mitglied in mehreren Vereinigungen. So war er Obmann der Paul Lazarsfeld Gesellschaft und gehörte jahrelang dem Vorstand und dem Beirat der 1991 gegründeten Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik an. Nicht zuletzt mit den Phänomenen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die er weniger als einen Aspekt persönlicher Betroffenheit denn als ein gesellschaftliches Problem angesehen hat, hat er sich wissenschaftlich und publizistisch immer wieder auseinandergesetzt (siehe seine Beiträge aus den Jahren 1966 bis 1992 in: Kienzl 1995).

In der NS-Zeit vom Studium an der Hochschule für Welthandel ausgeschlossen, wurde Heinz Kienzl 1989 zum Ehrenbürger von deren Nachfolgerin, der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien), ernannt. Außerdem verleiht die WU Wien seit 2002 einen nach ihm benannten Preis: Mit dem Dr.-Heinz-Kienzl-Preis werden vor allem interdisziplinär angelegte Arbeiten auf den Gebieten der Sozialforschung, der Sozialpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Geld- und Fiskalpolitik sowie der Wachstums- und Umweltpolitik ausgezeichnet.

Am 29. Januar 2020 ist Heinz Kienzl im Alter von 97 Jahren verstorben. An einer Trauerfeier, die am 25. Februar 2020 zu seinem Andenken in der Feuerhalle Simmering stattfand, nahmen über 200 Personen teil, darunter Ex-Bundespräsident Heinz Fischer, der ehemalige Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Erich Foglar und der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank a.D. Ewald Nowotny.

 

Autor: Johannes Koll

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Studierendenkarteikarte und Protokoll über die erste (allgemeine) Prüfung an der Hochschule für Welthandel, Bd. 4, Bl. 112.
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 626303/2013.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, 02 Unterricht, Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien (Kart. 13), GZ 5201 ex 1941-1944.
Michaela Hudler/Susanne Kirchner/Claudia Palt: Einblicke in das Leben von Heinz Kienzl, Wien 1998.
dasrotewien.at – Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie, http://www.dasrotewien.at/seite/kienzl-heinz [30. Januar 2020].
Kurzinterview auf http://www.club-carriere.com/phpscripts/inserat.php?name=Heinz%20Kienzl&K_ID=53048 [26. August 2013].
Interview mit Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) am 31. Mai 2013 in Wien.
Interview mit Hans Rauscher im Standard vom 4. Oktober 2012, http://derstandard.at/1348284909517/Als-der-Austrosozialismus-eingefuehrt-wurde [26. August 2013].
Heinz Kienzl: „Ich wär`auch lieber Archäologe als Nationalökonom geworden.“ Ausgewählte Beiträge von Heinz Kienzl zu seinem 70. Geburtstag, Wien 1995, S. 167-178.
Eric Frey: Heinz Kienzl, Architekt von Österreichs Wirtschaftspolitik, gestorben, in: Der Standard vom 30. Januar 2020, S. 18, online unter http://www.derstandard.at/story/2000113925074/ [30. Januar 2020].
OeNB trauert um ihren langjährigen Generaldirektor Dr. Heinz Kienzl, in: APA-OTS vom 29. Januar 2020, http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200129_OTS0135/oenb-trauert-um-ihren-langjaehrigen-generaldirektor-dr-heinz-kienzl [20. Oktober 2020].

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