Hans Ungar

  • Geb. am} 29.0.1916
  • Geburtsort: Wien
  • Kategorie: Diplomstudiengang
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich
  • Staatsbürgerschaft: Österreich

Hans Ungar entstammte einer großbürgerlichen Familie, die in Wien mehrere Modesalons besaß und mit berühmten Schriftstellern wie Stefan Zweig und Hermann Bahr befreundet war. Seine Eltern Paul (geboren am 19. Oktober 1877 in Wien) und Alice (geboren am 27. Mai 1889 in Wien, Mädchenname Kranner) haben 1910 im Wiener Stadttempel (1. Gemeindebezirk) geheiratet.

Nach der Matura absolvierte Hans im Militärlager Kaisersteinbruch (Burgenland) eine Ausbildung zum Reserveoffizier. Anschließend inskribierte er an der Hochschule für Welthandel. Hier belegte er zwischen Wintersemester 1936/37 und Wintersemester 1937/38 drei Semester den Diplomstudiengang. Die letzte Prüfung, die Erste (allgemeine) Prüfung, legte er im Februar 1938 ab. Nach dem 'Anschluss' Österreichs musste der jüdische Student die Hochschule verlassen. In den überlieferten Unterlagen der Wirtschaftsuniversität Wien findet sich kein Nachweis über die Ausstellung eines Zeugnisses.

Dank der Unterstützung durch frühere Vorgesetzte des österreichischen Bundesheeres gelang es Ungar, nach Lateinamerika zu emigrieren. Ende Juli 1938 verließ er die Familienwohnung Lange Gasse 74/3/10 (8. Wiener Gemeindebezirk). Über Hamburg gelangte er in die kolumbianische Hafenstadt Cartagena, von hier aus reiste er mit einem Raddampfer nach Bogotà.

Durch die Emigration war Hans das einzige Mitglied seiner Familie, das den Holocaust überlebte. Seine Eltern kamen im Konzentrationslager Sobibor ums Leben, wohin beide am 14. Juni 1942 von der Wohnung in der Nußdorfer Straße 4/31 (9. Wiener Gemeindebezirk) aus deportiert worden waren. Sein älterer Bruder Fritz Heinz (geboren am 30. Juni 1912 in Wien) war bereits am 17. Mai 1938 von der Wiener Polizei in „Schutzhaft“ genommen und anschließend ins Konzentrationslager Dachau verbracht worden. Von hier aus wurde er am 23. September 1938 ins KZ Buchenwald überstellt, wo er in verschiedenen Arbeitskommandos Dienst tun musste; unter anderem hatte er die Arbeit eines Leichenträgers zu verrichten. Am 17. Oktober 1942 wurde er von Buchenwald ins KZ Auschwitz-Birkenau „entlassen“, wie die Lagerverwaltung die zwangsweise Überstellung in das Vernichtungslager im Generalgouvernement bezeichnete. Hier wurde Fritz Heinz Ungar am 22. Februar 1943 ermordet.

Hans arbeitete in Kolumbien zunächst bei einem britischen Bankier. Recht bald lernte er seine spätere Ehefrau Elisabeth (genannt Lilly) kennen, die ebenfalls durch Emigration der Verfolgung entkommen war. Sie entstammte der Wiener Familie Bleier, und auch ihre nächsten Angehörigen fielen dem Holocaust zum Opfer. Aus der Ehe mit Lilly sind ein Sohn und eine Tochter hervorgegangen.

In der kolumbianischen Kulturgeschichte der Nachkriegszeit spielte Hans eine wichtige Rolle. 1946 übernahm er zunächst als Geschäftsführer, später als Eigentümer die älteste Buchhandlung des Landes: die "Liberia Central", die 1926 von dem Österreicher Pablo Wolf gegründet worden war. In den fünfziger Jahren eröffnete er eine Kunstgalerie und gehörte zu den Mitgründern der "Universidad de los Andes" in Bogotà. An dieser Universität war er auch als Dozent tätig. Außerdem moderierte er im Rundfunk wöchentlich eine Literatursendung und publizierte in Zeitungen und Zeitschriften über Themen wie Karl Kraus, Johann Strauß oder Wien an der Jahrhundertwende. Außerdem unterhielt er Kontakte zu vielen anderen Jüdinnen und Juden, die seinerzeit vor dem Nationalsozialismus nach Lateinamerika geflüchtet waren. Trotz der Vertreibung aus seiner Geburtsstadt und der Deportation seiner Familienangehörigen in der NS-Zeit reiste er nach dem Zweiten Weltkrieg regelmäßig nach Wien, um kulturelle Veranstaltungen zu besuchen und Kontakte mit der österreichischen Kulturwelt zu pflegen. Aufgrund seiner vielfältigen Verdienste um die kulturelle Entwicklung in Kolumbien und um die Vermittlung von deutscher und österreichischer Kultur in Lateinamerika wurde er mehrfach geehrt: Neben kolumbianischen Auszeichnungen erhielt er das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1964) und das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (1979). Die Bundesrepublik Deutschland verlieh ihm das Bundesverdienstkreuz.

 

Autor: Johannes Koll

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Karteikarte und Alte Prüfungsliste.
GenTeam. Die genealogische Datenbank, http://www.genteam.at [31. Mai 2014].
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 699909/2013.
Opferdatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (http://www.doew.at ).
Arolsen Archives, Sign. 12114027, Bildnummer 130501726 (Deportation der Eltern nach Sobibor) und Sign. 01010503 oS, Bildnummern 7323245 bis 7323248 (Inhaftierungen von Bruder Fritz Heinz in den Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald und Auschwitz-Birkenau).
Bernhard Brudermann: „Wahrscheinlich ist die Literatur der beste Weg, um dieses einzigartige, widersprüchliche, großartige Land zu verstehen“ (Kolumbien), in: DAVID. Jüdische Kulturzeitschrift, H. 65 vom Juni 2005, http://www.david.juden.at/kulturzeitschrift/61-65/65-Ungar.htm [30. August 2013].
Karen Naundorf: Señora Lilly und die Bücher. Geschäftssprache Wienerisch: Ein Besuch in der ältesten Buchhandlung Kolumbiens, in: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben vom 11. Oktober 2007, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/4474 [5. November 2016].

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