Georg (György) Stern

  • Geb. am} 7.0.1917
  • Geburtsort: Raab (Győr), Ungarn
  • Kategorie: Diplomstudiengang
  • Heimatberechtigung: Raab (Győr), Ungarn
  • Staatsbürgerschaft: Ungarn

Georg (György) war Sohn von Janka und Ferenc Stern. Sein Vater arbeitete in Raab/Győr (Ungarn) im Bereich des Viehhandels. Georgs Geschwister waren Eva (1919-1981) und Stefan (1926-2004).

An der Hochschule für Welthandel war Georg zwischen dem Wintersemester 1935/36 und dem Wintersemester 1937/38 inskribiert. Die letzte Prüfung hat er am 13. Dezember 1937 absolviert. Als Jude durfte er nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich sein Studium nicht fortsetzen. Bis Mitte Februar 1938 wohnte er in der Pulverturmgasse 7/5 (9. Wiener Gemeindebezirk). Vor dem Hintergrund des 'Anschlusses' Österreichs an das 'Dritte Reich' und der sich abzeichnenden Judenverfolgung hat er sich danach in seine Geburts- und Heimatstadt Raab abgemeldet.

In Ungarn verschlechterten sich die Überlebenschancen für die jüdische Bevölkerung drastisch, als die deutsche Wehrmacht im März 1944 das Land überfiel. Unter der Aufsicht eines Sonderkommandos, das SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (Leiter des 'Judenreferats' im Berliner Reichssicherheitshauptamt) unterstand, wurden die ungarischen Jüdinnen und Juden unter Mitwirkung der ungarischen Behörden parallel zu ihrer vollständigen Entrechtung ghettoisiert und anschließlich in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

In Raab war auch die Familie von Georg Stern gezwungen, ins neu errichtete Ghetto zu ziehen. Von hier aus wurden die Eltern vermutlich mit dem ersten Transport vom 11. Juni 1944 deportiert. Ferenc (geb. 1884 oder 1885 in Pápa [Komitat Veszprém] als Sohn von Jakab Stern und Terezia, geborene Löwy) und seine Frau Janka (geb. 1892 in Raab als Tochter von Henrik Fleischmann und Roza,  geborene Polak) wurden in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet. Das Todesdatum ist unbekannt. Der mündlichen Überlieferung zufolge wurden Janka und Ferenc im Oktober 1944 umgebracht, während die Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer den 15. Juli 1944 angibt (ID 6946245).

Die beiden jüngeren Kinder von Janka und Ferenc Stern haben Holocaust und Zweiten Weltkrieg überlebt, während das Schicksal von Georg nicht restlos geklärt ist.

Georg Stern war schon vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn Opfer der antisemitischen Verfolgungspolitik der dortigen Regierung geworden, die mit NS-Deutschland verbündet war. Er wurde nämlich in ein jüdisches Zwangsarbeiterbataillon eingezogen. Solche Einheiten standen unter dem Kommando von nichtjüdischen ungarischen Offizieren und wurden von ungarischen Soldaten bewacht. In den Zwangsarbeiterbataillonen waren Tausende von jüdischen Männern zusammengefasst, denen man aus rassistischen Gründen generell die Berechtigung zum Waffendienst absprach und den regulären Dienst in der Armee verweigerte. Anstelle von Waffen wurden die jüdischen Zwangsarbeiter nur mit Arbeitsgerätschaften ausgestattet - und konnten sich somit nicht einmal selbst verteidigen. Sie trugen auch keine Uniformen, sondern Zivilkleidung. Außerdem waren sie verpflichtet, Armbinden zu tragen: Juden in gelber Farbe, Konvertiten in weißer Farbe. Sie waren damit für jedermann sichtbar stigmatisiert. Unter oft lebensgefährlichen Bedingungen wurden die jüdischen Zwangsarbeiter aus Ungarn während des Krieges beim Bau von Straßen, Minen, Eisenbahnlinien und Verteidigungsanlagen eingesetzt. Auch der Transport von Minen oder die Räumung von Minenfeldern gehörten zu ihren Aufgaben. Schätzungsweise 40.000 Angehörige solcher Einheiten starben aufgrund der katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen oder im Gefolge von militärischen Ereignissen (Randolph L. Braham: The Politics of Genocide. The Holocaust in Hungary, Washington 2000, Kap. 2 und Timothy Snyder: Black Earth. Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann, München 2015, S. 256).

Georg Stern gehörte zur Zwangsarbeitereinheit II/6 (tábori munkásszázad), die während des Krieges gegen die Sowjetunion im ukrainischen Poltava eingesetzt war. Seine Spur verliert sich am 20. Januar 1943; seit diesem Tag gilt er als vermisst. Die genauen Umstände und Folgen sind unbekannt. Sie stehen möglicherweise im Zusammenhang mit dem Vorrücken der sowjetischen Armee in die Ukraine im Rahmen der Schlacht bei Charkow (Februar/März 1943); Poltava selbst allerdings wurde erst am 23. September 1943 von der Roten Armee eingenommen. Ist Georg Stern bei den Kämpfen ums Leben gekommen? Wurde er von deutschen oder ungarischen Soldaten ermordet? Wurde er - wie viele andere Zwangsarbeiter - vom sowjetischen Regime unter der Beschuldigung, für den Kriegsgegner gearbeitet zu haben, gefangen genommen und/oder getötet? Wurde er vor Ort liquidiert oder in ein sowjetisches Lager verschleppt? Der familiären Überlieferung nach hat Georg Stern Holocaust und Zweiten Weltkrieg überlebt. Demnach wurde er nach der Befreiung Ungarns vom autoritär-faschistischen Regime des Reichsverwesers Miklós Horthy (1920-1944) und des mit dem Großdeutschen Reich kollaborierenden Nationalsozialisten Ferenc Szálasi (1944/45) ungeachtet seiner Sympathien für den Kommunismus in die Sowjetunion verschleppt. Da es seitdem keine Nachricht von ihm gab, ist davon auszugehen, dass er spätestens zu diesem Zeitpunkt in Stalins Reich ums Leben gebracht wurde.

Seinem neun Jahre jüngeren Bruder Stefan, der 1938 wegen seiner Zugehörigkeit zum Judentum vom Gymnasium verwiesen worden war, kam zugute, dass er zwischen September 1940 und März 1944 in Raab eine Lehre als Uhrmacher und Feinmechaniker gemacht hatte, und zwar bei dem Uhrmachermeister Wittmann, der sein Geschäft in der Kosut Lajos Utca 8 unweit der beeindruckenden Raaber Synagoge hatte. Als nun die NS-Behörden nach dem Überfall der Wehrmacht auf Ungarn alle männlichen Ghettobewohner, die ein Handwerk erlernt hatten, zum Arbeitsdienst rekrutierten, wurde Stefan zunächst in ein Lager in Mosonmagyaróvár/Wieselburg-Ungarisch Altenburg gebracht. Von hier aus ging es auf das Gut Albertkázmérpuszta (an der heutigen Grenze zwischen Österreich und Ungarn gelegen), wo Stefan in der Landwirtschaft eingesetzt wurde. Zusammen mit einem Freund gelang ihm aber in der zweiten Hälte von Oktober 1944 die Flucht. Sie wurde begünstigt durch einen ungarischen Bewacher, der ein Bekannter seines Vaters gewesen war. Die Flucht geschah zu einem Zeitpunkt, an dem die Waffen-SS die Bewachung des Lagers bei Halbthurn übernahm, nachdem Horthy wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Judendeportationen und wegen eines Waffenstillstands mit der Sowjetunion durch die 'Operation Panzerfaust' unter Führung des österreichischen SS-Standartenführers Otto Skorzeny abgesetzt und verhaftet worden war. Während in Ungarn mit Unterstützung der deutschen Besatzungsmacht die faschistischen Pfeilkreuzler die Macht übernahmen, schlug sich Stefan bis Budapest durch. In der ungarischen Hauptstadt bat er die Schweiz um Asyl. Im sogenannten 'Glashaus', das der jüdische Glasfabrikant Arthur Weiss in den zwanziger Jahren in der Vadász Utca 29 hatte errichten lassen, stand Stefan unter der Obhut von Carl Lutz. Dieser schweizerische Vizekonsul hat durch die Ausstellung von Schutzpässen unter Umgehung der restriktiven Politik seiner eigenen Regierung über 60.000 ungarische Jüdinnen und Juden vor Deportation und Holocaust bewahrt. Obwohl die Pfeilkreuzler mehrfach das Glashaus angriffen und vor dem Gebäude etliche Juden töteten, war Stefan zwischen November 1944 und dem Einmarsch der Roten Armee in Budapest (Januar/Februar 1945) vor Verfolgung sicher.

Eva schließlich war zunächst mit ihren Eltern von den Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert worden. Sie gehörte zu jenen Lagerinsassen, die vor der Befreiung durch die Rote Armee (27. Januar 1945) zu den berüchtigten Todesmärschen gezwungen wurde. Das Ziel des mörderischen Fußmarsches war das Konzentrationslager Bergen-Belsen, das erst am 15. April 1945 von britischen Soldaten befreit wurde. Nach der Befreiung kehrte Eva nach Budapest zurück. Nachdem ihr erster Ehemann, der den Nachnamen Szarz gehabt hatte, verstorben war, heiratete sie Nicolas Fischer (1908-1986), dessen Muttersprache Ungarisch war. Mit ihm zog sie nach dem Krieg in Fischers Heimatland Rumänien. Als Eva aber mit ihrem Mann ausreisen wollte, musste eine größere Geldsumme an die Regierung in Bukarest entrichtet werden; wie in unzähligen vergleichbaren Fällen erpresste das kommunistische Regime auf diese Weise wertvolle Devisen. Nach Angaben ihrer Schwägerin Rosemarie Stern stellte Evas Bruder Stefan das Lösegeld zur Verfügung. Am 5. Januar 1960 konnte Eva Stefan per Fernschreiben mitteilen, dass sie zwei oder drei Tage später von Klausenburg/Cluj Napoca nach Österreich ausreisen dürfe. Im Januar 1963 emigrierten Eva und Nicolas dann über Italien nach Kanada. Nach ihrem Tod im Jahr 1981 wurde die Urne mit Evas Asche aus Toronto nach Wien überführt und auf dem Hütteldorfer Friedhof beigesetzt. Nachdem ihr Mann Nicolas Fischer im Alter von 78 Jahren verstorben war, wurde auch seine Urne nach Wien überführt. Das Urnengrab der Eheleute Fischer wurde aufgelassen, als Evas Bruder Stefan am 17. Februar 2004 verstarb; nun wurden die beiden Urnen zusammen mit Stefans Sarg in Grab 13 des Hütteldorfer Friedhofs beigesetzt.

 

Autor: Johannes Koll

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Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Karteikarte und Alte Prüfungsliste.
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 174381/2013.
Győr Jewish Website: Győr Holocaust Martyrs, http://gyorjewish.org/s1.htm [17. Dezember 2014].
Yad Vashem: The Central Database of Shoah Victims' Names, http://db.yadvashem.org/names/search.html?language=en [17. Dezember 2014].
United States Holocaust Memorial Museum: Holocaust Survivors and Victims Database, http://www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=5859281 [17. April 2015].
Telefonat von PD Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 4. November 2014, Gespräche in Wien am 12. Dezember 2014 und 8. Mai 2015 mit Rosemarie Stern (Schwägerin von Georg Stern). E-Mail-Verkehr mit Rosemarie Stern zwischen November 2014 und November 2015.
E-Mail von Oleksandr Sidorenko (Poltava) an PD Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 29. Mai 2015.
E-Mail von Col. Dr. Attila Bonhardt (Hadtörténeti Intézet és Múzeum, Budapest) vom 5. November 2015, GZ LEV-1749-1/2015.
The Glass House Carl Lutz, http://www.uveghaz.org/?categoryId=36511 [10. Mai 2015].
Friedhöfe Wien, Verstorbenensuche, http://www.friedhoefewien.at/eportal/ [17. Dezember 2014].

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