Eitel Fritz Figge

  • Geb. am} 19.0.1913
  • Geburtsort: Shanghai
  • Kategorie: Diplomstudiengang
  • Heimatberechtigung: Berlin (Berlin), Deutschland
  • Staatsbürgerschaft: Preußen (Deutschland)

Eitel Fritz war Sohn des früh verstorbenen Bankdirektors Heinz und der Irene Figge (geb. 27. Dezember 1880, Mädchenname Fischer). Bis 1926 besuchte er die Kaiser-Wilhelm-Schule in seiner Geburtsstadt Shanghai, anschließend wechselte er an das Reform-Realgymnasium Braunschweig. Das Abitur legte er 1931 an der Treitschke-Schule in Berlin-Wilmersdorf ab.

Im Anschluss an die Schulzeit schrieb sich Figge zunächst an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ein. Mit einem Umzug nach Wien belegte er dann Vorlesungen an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und war zwischen Wintersemester 1936/37 und Wintersemester 1937/38 für das Diplomstudium an der Hochschule für Welthandel inskribiert. Den Großteil der Prüfungen, die er hier im Laufe von drei Semestern absolvierte, legte mit sehr gutem Ergebnis ab, mehrfach erhielt das Prädikat „mit Auszeichnung“.

In Wien war Eitel Fritz seit Januar 1935 in der Wohnung seiner Mutter in der Wipplingerstraße 33/1/10 (1. Gemeindebezirk) gemeldet. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht mussten Mutter und Sohn im Zuge der ‚Arisierung‘ ihre Wohnung aufgeben; auch verloren sie das Vermögen, das sie bis zum 'Anschluss Österreichs' in diesem Land besessen hatten. Denn obwohl Irene wie auch Eitel Fritz evangelisch getauft waren, wurde die Mutter gezwungen, ihre gesamten Vermögenswerte zu deklarieren. Dies geschah auf der Grundlage einer Verordnung vom April 1938, die nicht nur all jene betraf, die von den Nationalsozialisten nach der rassistischen Definition der Nürnberger Rassegesetze als jüdisch angesehen wurden; sie erstreckte sich auch auf den nichtjüdischen Ehegatten eines Juden. Nachdem Irene Figge die obligatorischen Zwangsabgaben wie 'Judenvermögensabgabe' und 'Reichsfluchtsteuer' entrichtet hatte, blieb von dem Besitz von über 150.000 Reichsmark so gut wie nichts mehr übrig. Auch durch die Abgaben an die 'Aktion Gildemeester', die ihr und ihrem Sohn die Ausreise nach Zürich ermöglichte, wurde der Besitzstand geschmälert. Irene konnte nicht einmal die Speditionskosten für jene Möbelstücke und sonstigen Wertgegenstände bestreiten, die die nationalsozialistische Vermögensverkehrsstelle nach mehrmonatigem Hin und Her im Frühjahr 1939 zur Übersiedlung in die Schweiz freigegeben hatte. Sie sah sich gezwungen, den freigegebenen Besitz zu vermutlich ungünstigen Konditionen in Abwesenheit in Österreich versteigern zu lassen. Der bescheidene Rest von 1.316 Reichsmark, der Irene nach Abzug aller erzwungenen staatlichen Abgaben und der Lagerkosten für die Wiener Speditionsfirma Dr. Franz Reitter übriggeblieben war, wurde im August 1940 auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zu Gunsten des Deutschen Reiches beschlagnahmt. Die einst vermögende Witwe war somit durch den nationalsozialistischen Staat all ihrer Vermögenswerte in Österreich beraubt und wie ihr Sohn zu einem Flüchtling geworden.

Mutter und Sohn Figge sind im Frühjahr 1938 auf getrennten Wegen ins Schweizer Exil gegangen. Irene hielt sich nachweislich bereits am 20. März in Zürich auf, ein zweites Mal meldete sie sich am 12. Mai auf dem zuständigen Amt dieser Stadt. Möglicherweise war sie in der Zwischenzeit noch einmal nach Wien zurückgekehrt, um die Vermögenserklärung vorzubereiten, die sie aufgrund der oben erwähnten Verordnung abgeben musste. In Zürich logierte sie im mondänen Hotel Eden au Lac. Von hier aus begab sie sich am 28. Juli 1938 nach Bad Ragaz (Kanton St. Gallen). Eitel Fritz, der ebenfalls Österreich frühzeitig verlassen hatte, gelangte über Italien in die Schweiz. In Zürich kam er am 14. April an, dem Gründonnerstag des Jahres 1938. Wie seine Mutter wohnte er zunächst im Hotel Eden am Zürichsee, anschließend wechselte er mehrmals innerhalb Zürichs den Aufenthaltsort. Da es sich hierbei um respektable Adressen wie das Grand Hotel Dolder und das Hotel Bellerive handelte, muss Mutter und Sohn Figge im Schweizer Exil entweder Unterstützung aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis zuteil geworden sein, oder es war ihnen gelungen, Auslandsvermögen vor dem Zugriff des räuberischen NS-Staates sicher zu stellen.

Während sich seine Mutter während des Zweiten Weltkriegs nach Shanghai begab, blieb Eitel Fritz bis an sein Lebensende in der Schweiz. Im November 1940 zog er nach St. Gallen, wo er bis 1947 unter wechselnden Adressen zur Untermiete wohnte. An der dortigen Handelshochschule setzte er das Studium fort, das ihm in Wien durch das NS-Regime verwehrt worden war. Hier stellte sich heraus, dass die 'Arisierung' des Vermögens, das Familie Figge bis zum 'Anschluss' in Österreich besessen hatte, und die besondere Situation des Exils ernsthafte Probleme für Eitel Fritz darstellten. So wusste der Rektor der Hochschule St. Gallen im Sommer 1942 zu berichten: "Infolge der Entwicklung des Weltkrieges ist Herr Figge in seinen finanziellen Ressourcen leider ausserordentlich beschränkt worden und erhält zur Zeit nur mit grosser Mühe Unterstützungsbeiträge von seiner in Shanghai lebenden Mutter. Die Einkünfte aus seinem erheblichen Vermögen sind ihm dagegen derzeit vollständig abgeschnitten." Zumindest einen Teil seines Lebensunterhalts bestritt Figge durch das Geben von Nachhilfestunden. 1942 reichte er seine Diplomarbeit zum Thema Das Teiloligopol als Objekt der Preistheorie und Phänomen der Wirtschaftspraxis ein; sie wurde mit Auszeichnung bewertet. Daran schloss Figge ein Promotionsstudium an, zunächst in St. Gallen, ab 1949 an der Univesité de Neuchâtel. Es gibt allerdings keinen Beleg, dass er das angestrebte Doktorat in Handelswissenschaften erlangt hat. 1943 trat Figge der Akademischen Verbindung Mercuria San Gallensis bei; hier nahm er den Verbindungsnamen Gin an.

Im Zusammenhang mit dem Promotionssstudium war Figge ab August 1949 regulär in Neuchâtel gemeldet, der Hauptstadt des Schweizer Kantons Neuenburg. Von hier zog er im November 1952 erneut nach St. Gallen, um ein Praktikum am Schweizerischen Institut für Außenwirtschafts- und Marktforschung der Handelshochschule zu absolvieren. Spätestens Ende April 1953 verließ er St. Gallen. Mangels Quellen lässt sich sein weiterer Lebensweg nicht rekonstruieren. Am 25. April 1973 erlag Figge, der spätestens seit den vierziger Jahren immer wieder mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert gewesen war, in der Psychiatrischen Klinik des Kantons Neuenburg einem Hirnschlag.

 

Autor: Johannes Koll

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Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Karteikarte und Alte Prüfungsliste.
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW – 827905/2013.
Österreichisches Staatsarchiv / Archiv der Republik, BMfF, VVSt, VA 40071.
Gabriele Anderl/Edith Blaschitz/Sabine Loitfellner: Die Arisierung von Mobilien und die Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut, in: Dies. u.a.: „Arisierung“ von Mobilien (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission, Bd. 15), Wien/München 2004, S. 164-169.
Meldeauskunft des Stadtarchivs Zürich vom 23. Mai 2014, Sign. V.E.c.100.
E-Mail von Dr. Marcel Mayer (Stadtarchiv St. Gallen) an Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 28. Mai 2014 unter Bezugnahme auf folgende Bestände: Stadtarchiv St.Gallen, 5/71/156, Nr. 26‘625; 5/71/164, Nr. 39‘075; digitalisierte Einwohnerkartei, 1918 ff.; Offizielles Adressbuch der Stadt St.Gallen, 1947, I. Abt., S. 130; III. Abt., S. 3.
E-Mail von Werner Stiegler (Universitätsarchiv St. Gallen) an Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 10. Juni 2014.
Staatsarchiv St. Gallen, HSG 320/2339 (Kartei Studierendenakten) und HSG 093/14 (Seminar für Agrarpolitik und Agrarrecht); für die Recherche bedankt sich die Redaktion bei Dr. Thomas Schwabach (Universitätsarchiv St. Gallen).
E-Mail der Contrôle des habitants der Gemeinde Neuchâtel an Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 4. Juni 2014.
E-Mail von Paul Strasser (Akademische Verbindung Mercuria San Gallensis) an Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 14. Juni 2014.
Nachrichtenblatt Nr. 35 (Periode 1970 bis 1973) des Altherrenverbandes der Mercuria San Gallensis, S. 97.
E-Mail von Natalie Brunner-Patthey (Université de Neuchâtel) an Dr. Johannes Koll (Wirtschaftsuniversität Wien) vom 19. Juni 2014.

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