Dr. Ernst Steiner

  • Geb. am} 2.0.1886
  • Geburtsort: Groß-Seelowitz (Židlochovice), Österreich
  • Kategorie: Beschäftigte
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich

Steiner studierte Rechtswissenschaft sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaft an den Universitäten in Prag, München und Wien. 1910 wurde er an der Universität Wien zum Doktor der Rechts- und Staatswissenschaft promoviert. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dessen Verlauf er schwer verwundet wurde, war Steiner jahrelang als Referent für Sozialpolitik an der Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien tätig. Überdies nahm er seit 1929 Lehraufträge an der Hochschule für Welthandel wahr. Im Anschluss an seine Habilitation im Jahr 1932 wirkte er hier als Privatdozent für Sozialpolitik.

Im Januar 1937 stellte Steiner bei der Hochschule für Welthandel den Antrag, die Lehrbefugnis auf das gesamte Gebiet der Volkswirtschaftslehre auszuweiten. Faktisch aber ging er letztlich leer aus. Denn obwohl das Professorenkollegium dem Antrag zustimmte und ihm den Titel eines Außerordentlichen Professors zuerkennen wollte, dauerte es zunächst einmal längere Zeit, bis sich das Kuratorium der 'Welthandel' mit der Angelegenheit befasste. Im Dezember 1937 vertagte dieses Gremium die Entscheidung "einstweilen"; eine Begründung blieb Rektor Bruno Dietrich dem Professorenkollegium schuldig. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der nationalsozialistische Anglistikprofessor Kurt Knoll, der von Dietrich als Gutachter benannt worden war, negativ über den jüdischen und gewerkschaftsfreundlichen Privatdozenten Steiner äußerte - und damit schon vor dem 'Anschluss' Österreichs dessen berufliches Fortkommen behinderte. Am 22. Februar 1938 erlangte zwar endlich die beantragte Erweiterung von Steiners Venia docendi durch ein Schreiben des zuständigen Ministeriums formell Rechtskraft. Doch nach dem bald darauf erfolgten Einmarsch der Wehrmacht in Österreich war eine weitere Beschäftigung Steiners im öffentlichen Dienst ausgeschlossen: Wegen seines jüdischen Bekenntnisses musste Steiner im Frühjahr 1938 sowohl seine Tätigkeit an der Kammer für Arbeiter und Angestellte als auch an der Hochschule für Welthandel aufgeben. Auf derselben Sitzung des Professorenkollegiums, auf der Rektor Dietrich und Knoll in seiner Funktion als Vertrauensmann des NS-Dozentenbundes "über die erfolgte rassische und politische Reinigung des Lehrkörpers und der Beamtenschaft der Hochschule" Bericht erstatteten, wurde Steiner von Dietrich im zynischen Duktus nationalsozialistischer Beamtensprache "mit Dank für seine Tätigkeit an der Hochschule aus seiner Verwendung" entlassen. Die Erweiterung der Venia legendi erwies sich nun als nutzlos, weil Steiner aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 an keiner Hochschule des Großdeutschen Reiches angestellt werden durfte.

In Wien war Steiner bis zum 26. August 1938 in der Universitätsstraße 8/3 gemeldet (9. Wiener Gemeindebezirk), wo er seit 1923 gewohnt hatte. Ende August 1939 konnte er nach Großbritannien emigrieren. Wo er in Österreich bis zur Ausreise gewohnt hat, konnte nicht eruiert werden. Wie andere Personen, die aus Deutschland flüchteten, wurde er in Großbritannien zunächst interniert. Nach seiner Entlassung musste er sich anfangs seinen Lebensunterhalt als Nachtarbeiter in einem Betrieb der optischen Industrie verdienen. Ab 1941 wurde er als Research Assistant im britischen Arbeitsministerium angestellt. In der Zwischenzeit wurde seine Privatbibliothek aller Wahrscheinlichkeit nach vom NS-Regime eingezogen. Zumindest ein Teil der Bücher gelangte in den Bestand der Hochschule für Welthandel, die auf diesem Wege einmal mehr von 'Arisierung' profitierte - und Steiner erneut zum Opfer nationalsozialistischer Hochschulpolitik macht.

Am 10. Juni 1946 kehrte Steiner nach Wien zurück. Er fand wieder eine Anstellung an der Arbeiterkammer Wien, und auch an der Hochschule für Welthandel nahm er seine Lehrtätigkeit wieder auf. 1947 wurde ihm im Sinne der Wiedergutmachung mit einer Verzögerung von gut zehn Jahren endlich der Titel eines Außerordentlichen Professors verliehen, später wurde er zum ordentlichen Titularprofessor ernannt. Bis 1961 lehrte Steiner an der 'Welthandel'. Darüber hinaus war er im Jahr 1952 als Fulbright Scholar an der University of Pennsylvania (Philadelphia) tätig.

Nach der Rückkehr aus dem Exil war Steiner zunächst in der Schlösselgasse 8/16 gemeldet (8. Wiener Gemeindebezirk). Nachdem er im Dezember 1953 Rosa Sagaster geheiratet hatte, bezog das Paar eine Wohnung in der Landstraßer Hauptstraße 4/16 (3. Wiener Gemeindebezirk). In dieser Wohnung verstarb Steiner am 11. Dezember 1971. Er wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. In demselben Grab (Gruppe 42, Reihe 13, Grabnummer 13) wurde auch seine Ehefrau bestattet; sie starb 1978 im Alter von 80 Jahren. Nachdem das Grabnutzungsrecht bereits Ende Mai 1995 ausgelaufen war, wurde der Grabstein im Jahr 2015 entfernt.

Die Erneuerung der Verleihung des Doktorats der Handelswissenschaften, die nach dem Universitätsorganisationsgesetz 1975 aus Anlass des 50. Promotionsjubiläums möglich gewesen wäre, „wenn dies im Hinblick auf die besonderen wissenschaftlichen Verdienste, das hervorragende berufliche Wirken oder die enge Verbundenheit des Absolventen mit der Universität gerechtfertigt“ gewesen wäre (§ 98), unterblieb – ähnlich wie bei Felix Glattauer – in seinem Fall. 

Autor: Johannes Koll

Quellenhinweise

Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Personalakt Dr. Ernst Steiner.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Professorenkollegiumssitzungen 1936-1944, Ordner 9.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Präsidialakten 1938/53 und 1938/56.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Präsidial-Protokolle 1934-1938 zu Zl. 17/1937 und Zl. 53/1938, Einträge vom 25. Januar 1937 und vom 12. März 1938.
Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs, GZ MA 8 – B-MEW-788052/2013.
Wirtschaftsuniversität Wien, Universitätsarchiv, Präsidialakte „Erneuerung akademischer Grade 1980-1984“, vorl. Kart.-Nr. 409.
Sabine Schrödl: Steiner, Ernst, in: Harald Hagemann/Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, Bd. 2, München 1999, S. 680.
Friedhöfe Wien, Verstorbenensuche, http://www.friedhoefewien.at/eportal/ [26. Juni 2013].
Telefonat von PD Dr. Johannes Koll (WU Wien) vom 7. November 2017 mit der Verwaltung des Wiener Zentralfriedhofs.

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