DDr. Arthur Luka

  • Geb. am} 16.0.1882
  • Geburtsort: Lemberg (Lwow), Österreich
  • Kategorie: Doktorratsstudiengang
  • Heimatberechtigung: Wien (Wien), Österreich
  • Staatsbürgerschaft: Österreich

Arthur Luka war Sohn des Gerichtsrats Dr. Wilhelm Luka (geb. 1856 in Lemberg/Lwów, gest. 24. Oktober 1926 in Wien) und von dessen Frau Berta (geb. 1855 in Lemberg, gest. 8. August 1936 in Wien, Mädchenname Diamant). Er hatte vier jüngere Geschwister: Philipp (geb. 26. oder 28. Februar 1884 in Lemberg), Rudolf (geb. 3. März 1889 in Sarajewo), Olga (geb. 12. September 1891 in Sarajewo) und Otto (geb. 29. Februar 1893 in Sarajewo).

Studien und Berufstätigkeit

Als sich Arthur Luka zum Wintersemester 1936/37 an der Hochschule für Welthandel für ein Doktoratsstudium einschrieb, hatte er bereits drei Doktortitel erworben. An der Universität Wien hatte er an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (1904) sowie an der Philosophischen Fakultät (1914) promoviert, an der Philipps-Universität Marburg (Deutschland) war er zum Doktor der Medizin promoviert worden (1924/25). Für die damit jeweils verbundenen Studien in Wien war Arthur Luka zwischen Wintersemester 1904/05 und Sommersemester 1908 bzw. zwischen Wintersemester 1908/09 und Sommersemester 1911 inskribiert. Das Thema der Dissertation, mit der er bei Adolf Stöhr und Friedrich Jodl an der Alma mater Rudolphina zum Doktor der Philosophie promoviert wurde, lautete: Nietzsche im Verhältnis zu Vaihinger. Überdies war er in Wien während des ersten Jahres des Ersten Weltkriegs als Medizinstudent registriert. Ob er an der Ingenieurschule Altenburg (Thüringen), an der er zum Wintersemester 1915/16 inskribierte, tatsächlich Lehrveranstaltungen besucht hat, ist zweifelhaft.

In Marburg war Luka zwischen Wintersemester 1916/17 und Sommersemester 1920 eingeschrieben, allerdings zunächst für „Cameralia“, das heißt für Wirtschaftswissenschaften. Wie oft er hier überhaupt Lehrveranstaltungen besucht hat, ist eine offene Frage – war er doch – ähnlich wie an der Ingenieurschule Altenburg – durchgehend, sogar über das Ende des Ersten Weltkriegs hinaus, wegen Heeresdienst beurlaubt; am 1. März 1921 wurde er jedenfalls wegen Inaktivität aus der Matrikel gestrichen. Belegt ist, dass Arthur Luka 1919 an der Marburger Universität eine Dissertation eingereicht hat, und zwar für Medizin. Betreut wurde die Arbeit des jüdischen Doktoranden von dem Würzburger Dermatologen Karl Wilhelm Felix Zieler, der während des ‚Dritten Reiches‘ der NSDAP beitreten und sich nicht zuletzt als Vorsitzender der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft als ein überzeugter und einflussreicher Ärztefunktionär im Dienste des Nationalsozialismus gerieren sollte (Weyers 2000, S. 756). Lukas Verbindung zu Zieler dürfte entstanden sein, als er mindestens im Wintersemester 1918/19 an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität Medizin studiert hatte; zu diesem Zeitpunkt wohnte er in Würzburg in der Franz-Ludwig-Straße 16. Wie er selber im Mai 1919 erklärte, wollte er allerdings nicht an der Universität des Freistaats Bayern promovieren, sondern an der in Preußen gelegenen Universität Marburg, weil er sich um die preußische Staatsbürgerschaft beworben habe. Aus einem Wechsel der Staatsbürgerschaft scheint zwar nichts geworden zu sein: Wie unten gezeigt wird, blieb Österreich sein Lebensmittelpunkt, und zum Zeitpunkt seiner Immatrikulation an der Wiener Hochschule für Welthandel hatte er die österreichische Staatsbürgerschaft. Seine Promotion in Marburg aber hat Arthur Luka erfolgreich abschließen können: Das Rigorosum für sein medizinisches Doktorat fand am 24. Juli 1924 statt, die Doktorurkunde ist auf den 12. März 1925 datiert. Der Titel seiner Marburger Dissertation lautete: Ueber den Wert der Herdreaktion nach subkutaner Tuberkulinzuführung für die Erkennung von Lupus vulgaris.

Seine Immatrikulation an der Hochschule für Welthandel im Herbst 1936 stellte nicht Lukas ersten Kontakt mit dieser Wiener Institution dar. Denn nach dem Besuch des Untergymnasiums in Sarajewo (Bosnien-Herzegowina), des Obergymnasiums in Požega (Königreich Kroatien und Slawonien), wo er 1904 die Matura abgelegt hatte, und der Wiener Handelsakademie im achten Wiener Gemeindebezirk (Hamerlingplatz 5-6) hatte er an der Kaiserlich-königlichen Exportakademie, der Vorgängerinstitution der ‚Welthandel‘, den Absolventenkurs absolviert. Sodann hatte er an derselben Einrichtung 1916/17 am Lehrerseminar und im darauffolgenden Studienjahr am Sonderkurs für Bücher- und Bilanzrevisoren teilgenommen; zu diesem Zeitpunkt scheint er also eine berufliche Tätigkeit als Lehrer an einer Handelsschule oder Handelsakademie oder im Bereich der Buchhaltung für möglich gehalten zu haben. Unklar ist, wie sich diese Ausbildungen in Wien mit dem militärischen Einsatz im Ersten Weltkrieg vereinbaren ließen, der – wie oben berichtet – an der Universität Marburg zu Lukas dauernder Beurlaubung geführt hatte. Offenbar parallel zu seiner Immatrikulation in Würzburg wiederum war Luka im Wintersemester 1918/19 an der Wiener Exportakademie als ordentlicher Student eingeschrieben gewesen; dieses Studium scheint er aber nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie nicht fortgesetzt zu haben. Einer Examensprüfung hat er sich jedenfalls an der Exportakademie bzw. Hochschule für Welthandel nicht unterzogen.

Womit sich Arthur Luka während seiner zahlreichen Studien in Deutschland und Österreich den Lebensunterhalt verdiente, lässt sich nur bruchstückhaft eruieren. Seinen eigenen Angaben zufolge finanzierte er sein Promotionsstudium an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien durch „Lectionserteilung“. Schon vor dem Ersten Weltkrieg war er in Wien als Strafverteidiger tätig, und 1912 taucht er als Herausgeber und Redakteur der Kommerziellen Zeitung auf. In den frühen dreißiger Jahren gehörte Luka für einen kurzen Zeitraum dem Vorstand der Stabilitas an, einer „Spar- und Vorschusskassa“ mit Sitz in der Zollergasse 24 (7. Wiener Gemeindebezirk). Zu diesem Zeitpunkt war seine dienstliche Adresse als Rechtsanwalt die Bäckerstraße 10 (1. Gemeindebezirk), seine Wohnadresse die Rotensterngasse 10 (2. Gemeindebezirk).

Der ‚Anschluss‘ Österreichs und seine Folgen:
Ausschluss von der Promotion und Deportation

Erneut greifbar wird seine Biografie, als sich Arthur Luka zum Wintersemester 1936/37 mit dem Ziel an der Hochschule für Welthandel einschrieb, den Doktorgrad für Handelswissenschaften zu erwerben. Zugleich wurde er 1937 zur Prüfung für Bücherrevisoren zugelassen (die er demnach während des letzten Jahres von Erstem Weltkrieg und Habsburgerreich nicht abgelegt hatte). Am 20. Januar 1938, also kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich, reichte der jüdische Doktorand an der 'Welthandel' seine Dissertation über Bosnien und die Hercegovina. Eine wirtschaftsgeographische Darstellung und Untersuchung im Querschnitt der Jahre 1910 und 1935 ein. Obwohl die beiden Gutachter, der Wirtschaftsgeograph Hermann Leiter sowie Rektor Bruno Dietrich, die Annahme der Arbeit empfahlen, wurde Luka nach dem 'Anschluss' Österreichs aus rassistischen Gründen die Zulassung zu den Rigorosen verwehrt. In den Akten der Hochschule hieß es hierzu lakonisch: "Da mosaisch zu den Rigorosen nicht zugelassen".

Unter welchen Umständen Luka in den folgenden drei Jahren überlebt hat, entzieht sich der Kenntnis. Fest steht, dass er in der antisemitisch aufgeheizten Stadt Wien vom 28. März 1938 bis zum 21. Januar 1941 in der Radetzkystraße 23/5 (3. Gemeindebezirk) und damit in einem Haus gemeldet war, das sich bis zur ‚Arisierung‘ (siehe unten) im Eigentum seiner Schwester Olga, verheiratete Grüner, befand. Anschließend lebte er in der Adolf-Kirchl-Gasse 9/11 (3. Gemeindebezirk) - bis er am 17. November 1941 aufgegriffen und elf Tage später zusammen mit etwa 1.000 anderen jüdischen Männern, Frauen und Kindern vom Wiener Aspangbahnhof aus ins Ghetto Minsk im sogenannten Reichskommissariat Ostland deportiert wurde. Hier kamen tausende von Menschen in Folge von Massenerschießungen, Zwangsarbeit, Krankheiten und Hunger ums Leben.

Auch Arthur Luka wurde ein Opfer des Holocaust. Wann genau und auf welche Weise er gestorben ist bzw. ermordet wurde, ist nicht überliefert. Es ist aber bekannt, dass er nicht zu den drei Österreichern gehörte, die nachweislich den Zwangsaufenthalt im Ghetto Minsk überlebt haben. Am 8. März 1949 wurde Arthur Luka vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien für tot erklärt.

Zur Erinnerung an sein Schicksal wurde am 6. Juni 2016 ein Schild mit Lukas Namen in Blagowschtschina aufgehängt - also jenem Wäldchen, in dem die Deportierten nahe Maly Trostinec erschossen wurden. Einen Tag später wurde sein Name bei einer Trauerfeier verlesen, die im Rahmen der 8. Gedenkreise des Vereins "Initiative Malvine - Maly Trostinec erinnern" (IM-MER) am Platz des ehemaligen Minsker Ghettos stattgefunden hat.

Die Auslöschung der Familie Luka

Nicht nur Arthur Luka wurde vom NS-Regime umgebracht. Auch alle seine Geschwister wurden Opfer von dessen Verfolgungsmaßnahmen.

  • Am 29. Dezember 1938 wurde Magister Otto Luka, der im September 1926 die Dr. Adolf Friedrich’s Apotheke „Zur Heiligen Maria vom Siege“ in der Mariahilfer Straße 154 (15. Gemeindebezirk) übernommen hatte, mit unbekanntem Ziel abgemeldet. Er beabsichtigte, nach Italien auszureisen. Bis dahin war er in derselben Wohnung im Haus von Olga gemeldet gewesen, in der auch Arthur zeitweilig gewohnt hatte (Radetzkystraße 23/5); im Wiener Adreßbuch von 1938 scheint Otto Luka aber auch als ein Bewohner des Hauses der Rotensterngasse 14 (2. Gemeindebezirk) auf, wo vordem seine Eltern gewohnt hatten und seine Mutter zeitweilig ein Parfümeriewarengeschäft geführt hatte. Ottos Apotheke wurde durch Franz Lemmerhofer und Rudolf Zaininger (beide aus Wien) ‚arisiert‘, ihr religiös konnotierter Name, der auf die nahegelegene katholische Kirche Maria vom Siege verwies, erhielt die Bezeichnung „Sieg“-Apotheke Mr. Franz Lemmerhofer und Mr. Rudolf Zaininger, die in nationalsozialistischer Perspektive auch in einem nichtreligiösen Sinn gelesen werden konnte.
  • Rudolf Luka, der in Wien als Dentist gearbeitet und in der Rosenbursenstraße 4 (1. Gemeindebezirk) gemeldet war, meldete sich am 31. Dezember 1939 nach Italien ab. Und wie Otto gehörte auch er laut Wiener Adreßbuch von 1938 zu den Bewohnern des Hauses in der Rotensterngasse 14. Es ist nicht bekannt, ob Otto und Rudolf Italien überhaupt erreichten, ob sie in diesem faschistisch regierten Land untertauchen konnten oder entsprechend der antijüdischen Gesetze von 1938 in Lagern interniert oder unter Hausarrest gestellt wurden (Galimi 2024, S. 209-212), ob sie von Italien aus weiter flüchten konnten und zu welchem Zeitpunkt, an welchem Ort und unter welchen Umständen sie ums Leben kamen.
  • Wie sein Bruder Arthur wurde auch Philipp Luka am 28. November 1941 ins Ghetto von Minsk deportiert, und zwar zusammen mit seiner Frau Ottilie (geb. 2. Juli 1883, Mädchenname Kohn), die er am 11. Oktober 1938 in Wien-Leopoldstadt geheiratet hatte. Beide hatten bis dahin ebenfalls im Haus von Olga Grüner gewohnt (Radetzkystraße 23/7), und beide fielen der nationalsozialistischen Verfolgung zum Opfer.
  • Olga Luka hatte am 10. April 1927 im Wiener Stadttempel (Seitenstettengasse, 1. Gemeindebezirk) Wilhelm Grüner (geb. 7. Mai 1905 in Wien) geheiratet. Von dessen Familie hatte sie 1929 das Geschäft für Wäsche-, Wirk- und Modewaren sowie Schneider- und Modistenzubehör in der Radetzkystraße 23 übernommen. Dieses war 1868 gegründet worden und seit Februar 1911 von Olgas Schwiegervater Alois (auch: Louis) Grüner (geb. 28. September 1873 in Wien als Sohn des Wilhelm Grüner und der Charlotte, Mädchenname Fröhlich) geführt worden; dieser wiederum hatte das Geschäft elf Jahre später seiner Frau Paula Grüner (geborene Lanczy oder Lanczi) übergeben, die er am 14. Februar 1904 in Bratislava/Preßburg geheiratet hatte. Da auch Olga und Wilhelm Grüner, der für das Geschäft die Prokura hatte, als jüdisch galten, fiel das Unternehmen nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs der ‚Arisierung‘ zum Opfer. So wurde es zunächst im August 1938 dem Wiener Josef Brandstetter als kommissarischem Verwalter unterstellt. Ein Jahr später sah sich Olga Grüner nach langwierigen Verhandlungen gezwungen, ihr Geschäft dem fanatischen Nationalsozialisten Wilhelm Möslein (geb. 12. Februar 1889 in Wien) zu verkaufen, dem sie überdies bereits im Juni 1938 vertraglich ein lebenslängliches Vorkaufsrechts hatte einräumen müssen. Dass das Geschäft seit August 1939 unter der Bezeichnung Modewarenhaus Wilhelm Möslein firmierte, wurde vom Handelsbund frühzeitig befürwortet – drängte sich aus der Sicht von dessen Hauptamt V doch eine „Abänderung des jüdischen Firmennamens aus grundsätzlichen Erwägungen“ auf. Auch nistete sich Möslein als Mieter in demselben Haus ein, das seit April 1931 Eigentum von Olga Grüner war: Mit der Inanspruchnahme von fünf Wohneinheiten belegte er den meisten Platz in der Radetzkystraße 23. Bei all dem durfte sich Wilhelm Möslein des Wohlwollens des neuen Regimes sicher sein, dem er nicht zuletzt als Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Innstraße diente. Nach eigenen Angaben hatten er und seine Frau aufgrund ihrer nationalsozialistischen Gesinnung vor dem ‚Anschluss‘ monatelange Haftstraßen in Kauf nehmen müssen und waren aus demselben Grund delogiert worden. Seit dem ‚Anschluss‘ nahm das Ehepaar Möslein hemmungslos an der ‚Arisierung‘ des Geschäftes von Olga Grüner teil und wurde vom NS-Regime für seine ‚Verdienste‘ mit hohen Auszeichnungen wie dem Ehrenzeichen des 9. November 1923 (‚Blutorden‘), der Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938 (‚Märzmedaille‘) und der Medaille oder dem Ehrenzeichen für deutsche Volkspflege geehrt. Während sich Wilhelm Möslein Olgas Geschäft einverleibte und sich in ihrer Liegenschaft breit machte, wurde Olga Grüner am 28. November 1941 ins Ghetto Minsk deportiert; sie wurde demnach mit demselben Zug in den Tod geschickt wie ihre Brüder Arthur und Philipp sowie ihre Schwägerin Ottilie Luka. Olga Grüner war es nicht gelungen, rechtzeitig zu fliehen. Während ihr Mann und ihre Schwiegereltern hatten exilieren können, war sie wegen der Abwicklung des Geschäftes in der Radetzkystraße in Wien geblieben und konnte mit Beginn des Zweiten Weltkriegs entgegen der ursprünglichen Planungen nicht mehr ausreisen. Wann und unter welchen Umständen auch sie nach der Deportation ins Reichskommissariat Ostland das Leben verlor, lässt sich nicht eruieren. Ihre Liegenschaft in der Radetzkystraße 23 ging jedenfalls gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz im Dezember 1942 ins Eigentum des Deutschen Reiches über.

Die einzigen Personen aus Arthur Lukas familiärem Umfeld, die dank Emigration den Holocaust überlebten, waren sein Schwager Wilhelm Grüner und dessen Eltern Alois und Paula Grüner. Auch sein Bruder Viktor Grüner (geb. 8. Januar 1909 in Wien) und dessen Frau Machle Golde (geb. 21. August 1913 im südpolnischen Gródek [Woiwodschaft Małopolska/Kleinpolen] als Tochter von Feiuel und Rachel Billig, geborene Galler), die am 28. Februar 1937 im Wiener Stadttempel die Ehe miteinander geschlossen, bis zu ihrer Emigration ein Modengeschäft in der Badener Wassergasse 23 geführt und zunächst in der nahe gelegenen Neustiftgasse 2 in Baden, später dann in der Kolonitzgasse 2 (3. Wiener Gemeindebezirk), einer Parallelstraße der Radetzkystraße, gelebt hatten, konnten rechtzeitig das ‚Großdeutsche Reich‘ verlassen. Während Viktor und Machle Grüner, die in historischen Quellen auch unter dem Vornamen Olly firmierte, über Amsterdam und Rotterdam im Oktober 1939 nach New York emigrieren konnten, gelangte Wilhelm 1939 nach Großbritannien. Hier trat er in die Armee ein, die sich seit September desselben Jahres im Krieg mit dem nationalsozialistischen Deutschland befand. Im Mai 1943 änderte Wilhelm Grüner seinen Namen in William Anthony Griffin. Später ließ er sich in Mexiko-Stadt nieder, wohin auch seine Eltern geflüchtet waren.

Einen Ausreiseantrag mit der Bitte um Unterstützung stellte nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs bei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien auch ein weiterer Bruder von Wilhelm Grüner: Edwin Grüner, geboren am 16. Mai 1906 in Wien. Er war verheiratet mit der Schneiderin Selma (geb. 9. November 1906), die am 12. Februar 1934 den Sohn Heinrich Peter gebar. Nach dem ‚Anschluss‘ musste er sein Textilwarengeschäft in der Salztorgasse 3 (1. Gemeindebezirk) sowie seine Wohnungseinrichtung in der Radetzkystraße 27/8 verkaufen und Wertgegenstände oder Wertpapiere veräußern, um neden Schulden auch jene Steuern und Abgaben begleichen zu können, die das NS-Regime im Zuge seiner rassistischen Verfolgungspolitik der jüdischen Bevölkerung auferlegte. Aus Sicht der Israelitischen Kultusgemeinde Wien war er einer der „verschämten Armen“, deren Ausreise aus dem ‚Großdeutschen Reich‘ von ihr tatkräftig unterstützt wurde (Goldenberg am 19. Oktober 1938). Es ist davon auszugehen, dass Edmund mit seiner Familie am 28. November 1938 von Antwerpen aus auf dem Motorschiff Orinoco in die mexikanische Hafenstadt Veracruz gefahren ist und sich wie Wilhelm und ihre Eltern in Mexiko niedergelassen hat. Seine betagte, schwerkranke Schwiegermutter musste er in der Obhut der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien zurücklassen.

William Anthony Griffin war es, der nach Kriegsende die Rückstellung der Immobilie seiner ermordeten Ehefrau beantragte und die notwendigen administrativen Schritte unternahm, Olga Grüner und deren Brüder offiziell für tot erklären zu lassen. In Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen des Todeserklärungsgesetzes vom 5. Dezember 1950 wurde vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien 1947 bzw. 1949 ausgesprochen, dass Arthur Luka, Philipp Luka und Olga Grüner den 8. Mai 1945, also das Ende des Zweiten Weltkriegs, nicht überlebt hatten. 1956 wurde für Otto Luka der 31. Dezember 1943 und für Rudolf Luka der 31. Dezember 1944 als fiktives Todesdatum festgestellt.

Nach Abschluss der einzelnen Todeserklärungs- und Verlassenschaftsverfahren zu den genannten Personen wurde die Liegenschaft mit der Adresse Radetzkystraße 23 im Jahr 1957 zur Gänze an William Anthony Griffin rückgestellt, der sie im selben Jahr veräußerte.

 

Während ein Großteil der angeheirateten Familie von Arthurs Schwester Olga in Amerika das NS-Regime überlebt hat, wurde Arthur Luka mit allen seinen Geschwistern infolge der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik systematisch beraubt. Zumindest Arthur, Philipp und Ottilie Luka sowie Olga Grüner wurden anschließend ermordet.

 

Autor: Johannes Koll
Unterstützung bei der Recherche: Stefanie Lucas

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Quellenhinweise

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Wiener Stadt- und Landesgericht: Bezirksgericht Innere Stadt: Verlassenschaften 2A 286/1949 Arthur Luka, 3A 850/1956 Rudolf Luka, 2A 285/1949 Philipp Luka, 3A 851/1956 Otto Luka, 15A 706/1947 Olga Grüner).
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